Nach Bürgerprotesten in Stade: Radioaktiver AKW-Bauschutt kommt nach Sachsen

Niedersachsen will schwach radioaktiven Bauschutt aus dem Rückbau des Atomkraftwerks Stade nicht mehr im eigenen Land entsorgen. Nach Bürgerprotesten musste die Einlagerung auf einer Müllkippe bei Schneverdingen gestoppt werden. Nun lässt Betreiber EON die radiaokltiven Hinterlassenschaften nach Sachsen bringen. Atomkraftgegner kritisieren diese Praxis, denn der Atommüll wird „freigemessen“ und muss dann nicht mehr kontrolliert werden.

Nur ein kleiner Teil des Abrissmaterials des Atomkraftwerks Stade muss als radioaktiver Müll entsorgt werden. Der weitaus größte Teil des abgebauten Materials ist – so Betreiber EON – nichts anderes als gewöhnlicher Betonschutt oder Stahlschrott. Daher könne dieser sofort in anderen Bereichen weiter verwendet oder verwertet werden. Zum Beispiel können die aus dem Abbruch der Gebäude stammenden Betonreste als Bauschutt wieder verwendet werden. Die meisten metallischen Anlagenteile fließen als Schrott wieder in den Rohstoffkreislauf zurück. Andere Abfälle landen auf Hausmülldeponien. Im Fall des AKW Stade war das zwischen 2003 und 2011 eine Deponie im niedersächsischen Schneverdingen. Insgesamt handelt es sich um 103 Tonnen radioaktiver Abfall, der aber im Sinne des Atomgesetz nicht mehr als solcher gilt. Denn vor dem Abtransport wurden die Teile im AKW „freigemessen“, das bedeutet so lange dekontaminiert, bis sie nur noch unterhalb der zulässigen Grenzwerte strahlen. Im Sinne des Atomrechts gilt der Stoff dann nicht mehr als radioaktiv.

In Schneverdingen haben bis 2011 die Bürger nichts von den AKW-Abfällen gewusst – und schlugen dann Alarm. Die kreiseigenen Abfallwirtschaft Heidekreis (AHK) gab offen zu, dass der Abfall „sehr wenig mit Radioaktivität“ belastet sei. Landrat Manfred Ostermann (parteilos) veranlasste im Juni 2011 einen Einlagerungsstopp.

Nun sollen nach Medienangaben die Abfälle aus dem Rückbau des AKW in Sachsen deponiert werden. Wie die Sächsische Zeitung berichtet, sei geplant es auf die Deponie Grumbach unweit von Wilsdruff zu bringen. Das Umweltministerium in Dresden habe erklärt, die Radioaktivität des Bauschuttes sei „200mal geringer als die natürliche Strahlenbelastung“. Deshalb könne er ganz normal entsorgt werden.

Atomkraftgegner kritisieren die Praktik des „Freimessens“, denn nur so ist es überhaupt möglich, radioaktiven Abfall auf Hausmülldeponien zu verklappen. Eine Änderung des Strahlenschutzgesetz machte es in großem Stil erst möglich, setzte die Grenzwerte höher und spart damit den AKW-Betreibern viel Geld. Nun müssen diese nämlich nur noch die strahlenden Abfälle ausreichend mit nicht-strahlenden vermischen – und schon zeigt das Messgerät eine Dosis unterhalb der Grenzwerte an. Strahlenschützer und Ärzte beklagen, dass es gerade im Bereich der Niedrigstrahlung erhebliche Kontroversen gibt: ab welcher Dosis ist Strahlung gefährlich? Niemand weiß das genau. Denn Spätfolgen kommen teilweise erst Jahrzehnte später oder sogar in Folgegenerationen zum tragen. Ein belastbarer Rückschluß auf radioaktive Strahlung ist schwer möglich.

Grenzwerte sind so festgelegt worden, dass sie eine als verträglich angenommene Größenordnung an Strahlung gegenüber dem zum Beispiel wirtschaftlichen Rückbau eines Atomkraftwerks gewährleisten können. Es geht also nicht um ein Maximun an Sicherheit und Risikominimierung.

  • heute vor 40 Jahren: Inbetriebnahme des Atomkraftwerks Stade
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  • Anwohner haben Angst vor AKW-Schutt
    27. Oktober 2011 – E.ON als Betreiber des Rückbaus ist stolz darauf: nur ein kleiner Teil des Abrissmaterials des Atomkraftwerks Stade muss als radioaktiver Müll entsorgt werden. Ein Großteil kann auf Hausmülldeponien entsorgt werden. Eine davon liegt bei Schneverdingen – die Anwohner schlagen Alarm, denn der Schutt ist radioaktiv.
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  • Schwachradioaktiver Atommüll landet in alten Bergwerken und auf Deponien
    26. Januar 2012 – Alle reden von Schacht Konrad, wenn es um den Abbau von Atomkraftwerke geht, denn dabei fallen bekanntlich erhebliche Mengen schwach-radioaktiver Stoffe an. Diese sollen im ehemaligen Erzbergwerk bei Salzgitter unter die Erde gebracht werden – dessen Inbetriebnahme wegen Sicherheitsbedenken aber seit Jahren blockiert wird. Doch tatsächlich landen schon heute große Mengen radiaoktives Material “freigemessen” auf Hausmülldeponien oder in Untertagedeponien.
  • Grenzwerte für radioaktive Strahlung
    Grenzwerte gaukeln in der Regel – insbesondere in Zusammenhang mit der Atomenergie – eine Ungefährlichkeit vor. Ist ein Grenzwert bestimmt, so sagt dieser in der Regel nichts über die tatsächliche Gefährlichkeit aus, sondern ist ein sogenannter ‘politischer Wert’, der das politisch Vertretbare ausdrückt. Grundsätzlich gilt, daß es für die Schädlichkeit radioaktiver Strahlung keinen Grenzwert gibt. Jede noch so kleine Menge ist schädlich.
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    20. September 2011 – Die Strahlen-Grenzwerte für Lebensmittel in der EU und in Japan sind viel zu hoch angesetzt, sie bieten keinen ausreichenden Gesundheitsschutz. foodwatch und die Organisation Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges/Ärzte in sozialer Verantwortung (IPPNW) fordern eine drastische Senkung der Grenzwerte. Mit einer Mailingaktion sollen zuständigen Politiker in Bundesregierung und EU-Kommission aufgefordert werden, die Grenzwerte drastisch zu senken!

Quelle (Auszug): mdr.de, 12.08.2014