Wenn Kerstin Günther heute an ihre ersten Berufsjahre zurückdenkt, muss sie selbst schmunzeln über sich als junge Frau. Damals fand sie sich in einem Team wieder, das sich aus Männern um die 50 zusammensetzte und das der 24-jährigen, diplomierten Ingenieurin skeptisch begegnete. "Als junges Mädchen habe ich mich anfangs unsicher gefühlt", erinnert sie sich an ihre Anfänge in Budapest.

1992 begann sie bei der Deutschen Bundespost für den Bereich Telekommunikation und Fernmeldewesen zu arbeiten, heute verantwortet die 46-Jährige beim 1995 privatisierten Staatsunternehmen Telekom in Bonn die Bereiche Technik, Informationstechnologie und den Technischen Service für alle zwölf europäischen Tochterunternehmen des Konzerns. Zwölf Jahre lebte und arbeitete Günther in Ungarn und der Slowakei, bevor sie die technische Zentrale in Hessen mit 3.000 Ingenieuren acht Jahre lang leitete.

Wie lässt sich so ein Aufstieg planen? Für Kerstin Günther war früh klar: "Ich will Karriere machen. Ich habe mich ganz bewusst dafür entschieden", erzählt die Managerin. "Ich bin in der DDR aufgewachsen. Die meisten Frauen arbeiteten Vollzeit, für mich war das ganz normal." Studiert hat die Telekom-Managerin Nachrichten- und Elektrotechnik in Wroclaw, Polen, sie spricht fließend Polnisch und Englisch sowie Russisch und Ungarisch auf einem gehobenen, umgangssprachlichen Niveau. Außerdem unterstützte sie früh ein Mentor, der sie ermutigte, eigene Ansichten zu vertreten und sich zu Wort zu melden.

"Zunächst ist es wichtig, fachlich sehr gut zu sein und dann ein Netzwerk im Unternehmen aufzubauen", empfiehlt die Managerin. Auch typisch weibliches Verhalten wie Nettsein und Zurückhaltung gelte es zu überdenken. "Nett sein ja, aber hart in der Sache" habe ihr weitergeholfen. Auch Machspielen sollten Frauen mit Karriereambitionen nicht grundsätzlich aus dem Weg gehen. "Es gibt immer Dinge, für die es sich lohnt zu kämpfen", sagt Günther.

Noch immer gelingt es hierzulande wenigen Frauen, eine gut dotierte Führungsposition zu übernehmen. Über die Gründe hierfür wird gerne gestritten. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg wertet regelmäßig Daten des Mikrozensus im Hinblick auf Karrieremuster aus. Auch wenn die Wiedervereinigung fast 24 Jahre zurückliegt, zeigen die Statistiken kulturelle Unterschiede. In Ostdeutschland sind in der Privatwirtschaft auf der ersten Führungsebene 30 Prozent weibliche Chefs, allerdings nur 24 Prozent im Westen. Auf der zweiten Managementebene zeigen sich die Unterschiede noch deutlicher, denn in den neuen Bundesländern haben 46 Prozent der Führungspositionen Frauen inne, während das im Westen der Republik bisher nur 36 Prozent geschafft haben. Leider liefern die Statistiken kaum Erklärungen, die über die vage Formulierung "kulturelle Unterschiede" hinausreichen.

Das Münchner Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung (ISF) stellte im Oktober 2013 die Forschungsergebnisse des BMBF-Projekts "Frauen in Karriere" vor. Dazu führten die Sozialwissenschaftler rund 325 sogenannte Tiefeninterviews mit etwa gleich vielen berufstätigen Männern und Frauen. Das wichtigste Ergebnis war, dass alle ein gleich starkes Interesse an ihrer beruflichen Entwicklung haben. "Während Männer Entwicklung mit Karriere gleichsetzen, spielt für Frauen noch ein anderer Aspekt hinein", sagt Studienleiter Andreas Boes. Frauen wägen stärker zwischen zwei Zielen ab, nämlich der beruflichen Karriere und der sogenannten Sorgearbeit für die Familie. "Viele Frauen sind bestrebt, beide Seiten in Einklang zu bringen, die wenigsten konzentrieren sich nur auf ihre berufliche Karriere", sagt Boes. Auch die gestiegenen Anforderungen der Arbeitswelt, immer für den Arbeitgeber verfügbar zu sein, erschwerten die Entscheidung. "Viele Frauen sagten uns im Interview, dass diese vollständige Verfügbarkeit ein großer Konflikt sei und sie deshalb auf Kinder verzichteten."

Ost-Frauen fühlen sich nicht als Rabenmütter

Doch in den Interviews fiel Boes und seinen Kollegen auf, dass im Osten Deutschlands sozialisierte Frauen diesen Konflikt kaum kennen. Sie wuchsen mit berufstätigen Müttern auf, erlebten Krippe, Kita und Hort als etwas ganz alltägliches und haben heute kein Problem damit, ihre eigenen Kinder tagsüber in die Obhut von Erzieherinnen zu geben. "Ostdeutsche Frauen haben Vertrauen in das Versorgungssystem für Kinder. Sie lassen sich nicht in die Rolle der Rabenmutter drängen und erleben die innere Zerrissenheit zwischen Beruf und Familie nicht so stark wie Frauen, die im Westen aufgewachsen sind", sagt Boes.

Auch die Studienwahl von Frauen gilt als Handicap. Zwar versuchen die sogenannten MINT-Fakultäten (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) seit Jahren, mehr Frauen für ihre Studienangebote zu begeistern, doch der Erfolg bleibt bescheiden. Auch Kerstin Günther fühlte sich während des Studiums oftmals als Exotin. "In unserem Semester waren 100 Männer eingeschrieben und zwei Frauen", erinnert sie sich. Das technische Studium, umfassende Fremdsprachenkenntnisse und der feste Wille, die eigene Karriere in die Hand zu nehmen, trugen dazu bei, dass die Managerin berufliche Chancen für sich erkannte und nutzte, lange bevor die Telekom 2010 mit der Quotendiskussion auf sich aufmerksam machte. Günther unterstützt die vom ehemaligen Personalvorstand Thomas Sattelberger vorgegebene Linie, betont aber auch, dass sie schon vorher eine Führungsposition inne hatte. "Ohne Quote geht es nicht", stellt Günther klar. Bis Ende 2015 möchte das Unternehmen 30 Prozent der mittleren und oberen Management-Positionen mit Frauen besetzen. Allerdings verließ kürzlich Personalvorstand Marion Schick das Unternehmen überraschend. Damit bleibt die 2011 in den Vorstand berufene Claudia Nemat die einzige Frau in der obersten Etage des Telekommunikationsriesen.

Kompetenz, Fleiß, Ehrgeiz und Durchsetzungsfähigkeit brauchen Frauen auf dem Weg nach oben. Allerdings rät Kerstin Günther davon ab, Verhaltensmuster von männlichen Kollegen zu kopieren. Sie plädiert für weibliche Stärken und legale Tricks. "Sich nicht selbst in den Schatten stellen und im Unternehmen sichtbar sein", rät sie und fügt hinzu: "Ich trage nie schwarze Hosenanzüge. Weibliche Attraktivität hilft, gerade in einem technisch geprägten Umfeld."