• Dieses Polenblog ist umgezogen, das neue finden Sie hier. Dieser Teil ist geschlossen.  Kollegen der polnischen "Gazeta Wyborcza" bloggten hier von Ende 2015 bis Mitte Juni 2018 über die Entwicklungen in ihrem Land.
  • Seit November 2015 ist in Polen eine Regierung im Amt, die von der rechtspopulistischen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) gestellt wird.
  • Seither häufen sich die Angriffe auf die demokratische Verfasstheit des Landes: auf das Verfassungsgericht, auf die Medien, auf die unabhängige Justiz.
  • Die EU beäugt diese Entwicklungen kritisch und erwägt, Polen nach Artikel 7 der EU-Verträge mit Sanktionen zu belegen.
Roman Imielski
Roman Imielski
Polens Präsident Andrzej Duda forciert zurzeit den Vorschlag, im November 2018 ein Verfassungsreferendum durchführen zu lassen. In diesem sollen die Polen angeben, welche Änderungen sie im Grundgesetz einführen würden. Am Dienstag stellte Duda dazu einen Katalog von 15 Fragen vor. Doch der kam nicht gut an: Selbst die regierende nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) – deren Mitglied der Präsident war und für die er stets eintritt – beabsichtigt nicht, sein Referendum zu unterstützen. Warum?

"Das mag ja ein interessanter Vorschlag sein, aber ich verstehe ihn nicht wirklich", meint der einflussreiche PiS-Abgeordnete Marek Suski. Mehr noch, sogar die Hauptnachrichtensendung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, Wiadomości, berichtete am Dienstag nichts über den Referendums-Vorschlag von Andrzej Duda. Das ist typisch, denn die öffentlichen Medien in Polen werden weitgehend von der PiS kontrolliert und informieren nur darüber, was auch der Parteivorsitzende Jarosław Kaczyński hören möchte. Kaczyński ist der Mann, der in Polens Regierung das eigentliche Sagen hat.

Jarosław Kaczyński hatte schon früher öffentlich seine Skepsis gegenüber dem Verfassungsreferendum kundgetan. Es soll am 10. und 11. November durchgeführt werden, also zum im großen Stil begangenen 100. Jubiläum der Wiedererlangung der Unabhängigkeit Polens nach dem Ersten Weltkrieg. Damit es zum Referendum kommen kann, muss der von der PiS kontrollierte Senat, die höchste Kammer des polnischen Parlaments, zustimmen. Und die Regierung muss viel Geld dafür aufwenden – ungefähr 150 Millionen Zloty, rund 40 Millionen Euro. Bisher gibt es weder eine Entscheidung von Stanisław Karczewski, dem Präsidenten des Senats, noch die benötigten Gelder. 

Unpräzise und unnötig

Darüber hinaus rief der am Dienstag unterbreitete Fragenkatalog im Regierungslager wie auch unter regierungstreuen Publizisten ein gehöriges Maß an Verblüffung hervor. Der Grund: Er ist mit Fragen versehen, die nach dem Motto "Für jeden ist etwas Nettes dabei" gestaltet sind. Die Fragen beginnen alle mit der Formulierung: "Sind Sie für ...?" und gehen dann in etwa folgendermaßen weiter: 

... die Verabschiedung einer neuen Verfassung der Republik Polen oder für Änderungen in der geltenden Verfassung der Republik Polen? 

... den Bezug auf das über tausendjährige christliche Erbe Polens und Europas als wesentliche Quelle unserer Tradition, Kultur und nationalen Identität in der Präambel der Verfassung? 

... eine verfassungsrechtliche Garantie für eine besondere Unterstützung der Familie, die auf der Einführung des Prinzips der Unantastbarkeit erworbener Rechte wie des Erhalts von 500 plus beruht? (500 plus ist eine monatliche Sozialhilfe ab dem zweiten Kind in Höhe von 500 Zloty, etwa 120 Euro, unabhängig vom Gehalt der Eltern.) 

... eine verfassungsrechtliche Garantie für den besonderen Schutz des Rentenrechts für Frauen ab dem 60. Lebensjahr und für Männer ab dem 65. Lebensjahr?

... eine verfassungsrechtliche Garantie der Unabhängigkeit Polens in der Europäischen Union sowie des Grundsatzes der Überlegenheit der polnischen Verfassung über internationalem und EU-Recht?

... eine verfassungsrechtliche Garantie der Mitgliedschaft Polens in der Nato?

... eine verfassungsrechtliche Garantie des besonderen Schutzes der polnischen Agrarwirtschaft und der Lebensmittelsicherheit Polens?

... einen verfassungsrechtlichen Schutz der Arbeit als Fundament einer sozialen Marktwirtschaft?

... eine Stärkung der Kompetenzen des von der Nation gewählten Präsidenten im Bereich der Außenpolitik und seiner Position als Oberbefehlshaber der Streitkräfte der Republik Polen?

Wie man erkennt, handelt es um sehr unpräzise und – worauf viele Verfassungsrechtler hinweisen – zum Teil unnötige Fragen, da das polnische Recht viele von ihnen ohnehin schon garantiert.

Im Interesse des Präsidenten?

Darüber hinaus haben Referenden in Polen nur eine richtungsweisende Funktion, denn das Parlament und die Regierung sind nicht an ihre Ergebnisse gebunden. Die Polen nehmen zudem sehr ungern an Referenden teil, die Wahlbeteiligung beläuft sich in der Regel auf gerade mal 20 Prozent. Schließlich ist für eine Verfassungsänderung auch eine Zweidrittelmehrheit im Sejm notwendig, welche die PiS – selbst mit allen ihr wohlgeneigten kleineren Gruppierungen und Kreisen – nicht hat. Und die Opposition hat bereits angekündigt, gegen die Initiative einer Verfassungsänderung zu stimmen.

Und noch eine Sache: Viele zentrale Funktionäre in der PiS sind der Ansicht, dass der Präsident das Referendum nur durchsetzen will, um seine eigene Position im Regierungslager, das von Fraktionskämpfen gebeutelt ist, zu stärken. Und das wollen sie ihm nicht gestatten.

Michał Kokot
Michał Kokot
Seit 37 Tagen besetzen Eltern bereits den Sejm, der eine von zwei Parlamentskammern in Polen bildet. Sie fordern für jedes ihrer Kinder mit Behinderung eine monatliche Unterstützung von 500 Złoty, das sind umgerechnet 116 je Euro.

Die ganze Zeit über spekulierte man, ob die Regierung die Protestierenden von den Sejm-Korridoren wegschicken würde. In Warschau steht die Frühjahrstagung der parlamentarischen Ver­samm­lung der Nato bevor, am Freitag wollten die Delegierten den Sejm besuchen. Nun werden die Gäste einen anderen Eingang nutzen und somit weder die Protestierenden noch ihre Transparente sehen.

Grobe Securitys
 
Am Donnerstag hatten die Protestierenden noch versucht, mit einem englischsprachigen Transparent über ihr Anliegen zu informieren. Der Sicherheitsdienst Straż Marszałkowska verhinderte dies aber. Es heißt, die Securitys hätten die Mütter bei ihrem Versuch, das Transparent aufzuhängen, grob angefasst. In der Folge soll es zu Blutergüssen und Schürfwunden gekommen sein.
 
Die Regierung hat nicht die Absicht, den Forderungen der Protestierenden zuzustimmen. Sie bietet stattdessen eine bessere medizinische Versorgung ohne Wartezeiten und eine vorrangige Bedienung in Apotheken an. Doch das nützt den Eltern wenig. Sie sagen, ein behindertes Kind großzuziehen sei teuer, und der Staat unterstütze sie kaum dabei.

Ein "kaum auszuhaltender Gestank"
 
Dies gilt nicht nur für die PiS-Regierung. Keine der vorangegangenen Regierungen hatte sich sonderlich um die Belange von Menschen mit Behinderung gekümmert. Dieselben Eltern, die heute protestieren, hatten schon 2014 den Sejm besetzt. Damals war noch die Partei Bürgerplattform an der Macht, sie wollte den Eltern die versprochenen Pflegezuwendungen wieder streichen. Nach etwa zwei Wochen gelang es den Eltern tatsächlich, die Entscheidung der Regierung wieder rückgängig zu machen.
 
Diesmal erhalten sie Unterstützung und Anerkennung aus dem ganzen Land. Nur die PiS-Politiker sprechen entweder ungern oder mit Verachtung von den Protestierenden. Die PiS-Abgeordnete Krystyna Pawłowicz twitterte, auf den Sejm-Korridoren herrsche ein „kaum auszuhaltender Gestank“ – ein Seitenhieb gegen die Eltern. Einige Tage zuvor hatte der Sejm-Marschall Marek Kuchciński beklagt, durch den Aufenthalt der Besetzer entstünden „Kosten“, und jemand müsse „für die Ernährung aufkommen“. Daraufhin erklärte sich ein Abgeordneter der Opposition bereit, die Kosten zu übernehmen.

Regierung will keinen Dialog
 
Regierungsanhänger versuchen, die Behinderten zu demütigen und zu diskreditieren. Sie unterstellen ihnen ein luxuriöses Leben, weil sie beispielsweise einmal Urlaub im Ausland gemacht haben. Das von der PiS kontrollierte öffentliche Fernsehen stellt den Protest als politischen Konflikt dar und zeigt die Behindertenaktivisten als Anhänger der Opposition. Die Aktivisten selbst betonen den apolitischen Charakter ihres Protestes. Dies erschwert jede Einigung. Die Protestierenden haben mehrere Kompromissvorschläge gemacht, die Regierung will sich aber auf keinen Dialog einlassen.
 
Je länger der Protest andauert, desto geringer werden die Chancen auf eine Einigung. Erst kürzlich schrieb die Tageszeitung Gazeta Wyborcza, die Regierenden zögen folgendes Szenario in Betracht: Sie kümmern sich in den kommenden Wochen, ja Monaten, überhaupt nicht um die Protestierenden. „Sie können sogar die Sommerpause über hierbleiben, wenn sie wollen“, sagte ein Politiker aus dem Regierungslager.
Michał Kokot
Michał Kokot
Die polnische Weigerung, EU-Recht einzuhalten, ist seit einiger Zeit im Schwinden begriffen. Am Dienstag hat der Europäische Gerichtshof erklärt, dass Polen mit seinen Rodungen im Białowieża-Urwald gegen EU-Recht verstoße. Dabei handelt es sich um ein endgültiges Urteil. Das bedeutet, dass die Abholzungen im vergangenen Jahr illegal waren. Sollte Polen diesen Beschluss vom Dienstag missachten, drohen dem Land Strafen in Millionenhöhe.

Vermutlich wird es das aber nicht tun. Denn in der Regierung liegt niemandem daran, eine weitere Auseinandersetzung mit der Europäischen Kommission anzuzetteln. Umweltminister Henryk Kowalczyk hatte bereits am Sonntag gesagt, dass er ein solches Urteil erwarte und sein Ressort beabsichtige, es zu respektieren.

Das ist nun ein völlig anderer Standpunkt als der seines Vorgängers Jan Szyszko. Dieser hatte nämlich im März 2016 beschlossen, den Urwald abzuholzen, und das mit einer angeblichen Borkenkäferplage begründet. Weder die Kommission noch der EuGH teilten damals seine Argumente, aber Szyszko hielt stur an seinen Ansichten fest und vergrößerte die Rodungsgebiete sogar um ein Dreifaches.

Dies traf auf heftige Proteste. Umweltschützer versuchten, die Holzausfuhr aus dem Urwald zu stoppen, wofür sie Strafverfahren bekamen. Sie freuen sich zwar über das Urteil des EuGH, aber gleichzeitig bedauern sie, dass es der Regierung gelungen ist, ein so bedeutendes Urwaldgebiet im vergangenen Jahr zu verheeren.

Neue Regierungsstrategie

Die kompromissbereite Haltung Kowalczyks geht auf eine Änderung in der Regierungsstrategie zurück. Der Vorsitzende der Partei Recht und Gerechtigkeit, Jarosław Kaczyński, wies sie im Januar an, um sich der Minister zu entledigen, die internationale Spannungen hervorgerufen hatten. Von seinem Posten verabschiedete sich zu Anfang des Jahres Außenminister Witold Waszczykowski, der die Sprache der Diplomatie allzu oft mit gewöhnlicher Rüpelhaftigkeit verwechselte und der unaufhörlich Konflikte mit Brüssel schürte. Auch ist Antoni Macierewicz nicht mehr Verteidigungsminister, der die Glaubwürdigkeit Polens als Partner im europäischen Verteidigungspakt in Mitleidenschaft gezogen hatte.

In der Regierung Beata Szydłos hatte sich Jan Szyszko eher als Verteidiger der Jägerlobby und der Holzindustrie einen Namen gemacht denn als Umweltminister, der die Bestände des Landes schützt.

Und in dieser ganzen politischen Affäre ist es vor allem schade um den Białowieża-Urwald: So gab Kowalczyk kürzlich zu, dass die Obergrenze der Abholzungen, die auf den Beschluss von Szyszko zurückgehen, beinahe zu hundert Prozent ausgeschöpft sei.
Michał Kokot
Michał Kokot
Die Frage nach der Verschärfung des Abtreibungsrechts ist in Polen ein immer wiederkehrendes Thema. In seiner derzeitigen Form ist es bereits sehr restriktiv – es erlaubt eine Abtreibung nur dann, wenn die Schwangerschaft Folge einer Vergewaltigung ist, wenn eine Schädigung des Fötus vorliegt oder wenn die Schwangerschaft eine Gefährdung für das Leben der Mutter darstellt. Seit der Regierungsübernahme durch die Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) aber verlangen verschiedenste Gruppen beständig nach einer Verschärfung des Abtreibungsrechts, auch die katholische Kirche.
 
Sie erlebt seit dem Regierungswechsel eine Renaissance – in der Politik wie auch im öffentlichen. Seit dem Ende des Kommunismus in Polen ist sie lange nicht mehr so bedeutend gewesen. Die kirchlichen Hierarchen lassen sich über die wichtigsten Fragen aus, die in der Öffentlichkeit diskutiert werden. Für gewöhnlich führt die nationalkonservative Regierung beflissen ihren Willen aus, da die katholische Kirche für die PiS ein wichtiger politischer Verbündeter ist. Die kirchlichen Würdenträger wiederum machen oft keinen Hehl daraus, für wen ihre Gläubigen stimmen sollten; es kommt durchaus vor, dass sie von der Kanzel aus zur Wahl der Partei Jarosław Kaczyńskis aufrufen.
 
In der vergangenen Woche reichte es aus, dass die Kirche zügige Fortschritte beim Gesetzesentwurf zur erneuten Verschärfung des Abtreibungsrechts forderte – prompt wurde der Entwurf von der Sejm-Kommission positiv begutachtet, obwohl er vorher monatelang in den parlamentarischen Schubladen gelegen hatte. Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass Frauen kein Recht mehr auf Abtreibung haben, wenn eine Schädigung des Fötus vorliegt – sie wären zur Geburt gezwungen.
 
Bei Talkshow zum Thema war keine einzige Frau eingeladen
 
Aus Protest gingen am Freitag wieder tausende Polinnen auf die Straße, um die Annahme dieses Gesetzes zu verhindern. Allein in Warschau demonstrierten 55.000 Personen, weitere 1.000 in anderen Städten Polens. Auf Transparenten hieß es unter anderem: „Hände weg von meinem Bauch!“ Über die Abtreibungsdebatte in Polen sagte auch ein Bild aus einer Fernsehsendung vor einigen Wochen viel aus. Politiker aller politischen Parteien waren ins Studio geladen worden – unter ihnen aber keine einzige Frau. In Polen haben das Meiste über Abtreibung nämlich Männer zu sagen (und im Zölibat lebende Priester).
 
Die PiS sowie Kaczyński selbst fürchten sich sehr vor solchen Demonstrationen wie der am Freitag. Trotz der insgesamt hohen Popularität der Regierung löst die Frage nach einer Verschärfung des Abtreibungsrechts große Emotionen aus – und vor allem den Widerstand der Frauen. Ähnliche Menschenmengen waren auch schon 2016 auf die Straßen gegangen, und damals hatte die Regierung den Gesetzesentwurf eines nahezu totalen Abtreibungsverbots sofort zurückgezogen. Damals wie heute war er allerdings nicht von der Regierung vorgelegt worden, sondern ging auf eine Bürgerinitiative zurück.
 
Trotz der Massenproteste auf den Straßen gibt es im konservativen Polen auch viele Bürger, die für noch strengere Abtreibungsregeln sind. Doch der hohen Zahl an Demonstranten vom Freitag nach zu urteilen, überwiegen diejenigen, die gegen die geplante Verschärfung sind.

Michał Kokot
Michał Kokot
Nach Angela Merkels Besuch in Warschau am Montag ist kein Durchbruch zu verzeichnen, aber man hatte sich auch kaum vorstellen können, dass es zu einem solchen kommen würde. Sowohl der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki als auch die Bundeskanzlerin betonten eher das, was sie verbindet, als das, was sie unterscheidet. Sie sprachen von einer engeren Zusammenarbeit im Rahmen der europäischen Verteidigungspolitik, von einer Erweiterung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und der Zusammenarbeit in Sachen Sicherheit.

In beiden Erklärungen ist jedoch nicht wichtig, was gesagt, sondern was nicht gesagt wurde.

Ausweichen auf die EU

Erst auf Nachfragen von den Journalisten sprachen sie wortarm über die polnische Reform des Gerichtswesens, mit der sich nach Meinung der Venedig-Kommission die Regierenden die Gerichtsbarkeit unterwerfen wollen.

Merkel weiß, dass sie am Montag in ein Land gereist ist, in dem die nationalkonservative PiS-Regierung in der Innenpolitik gern die deutsche Karte spielt: Da werden mit dem Topos der deutschen wirtschaftlichen Dominanz Ängste geschürt, da werden Fragen der Kriegsreparationen ausgegraben. Die politische Hetze gegen Berlin hat negative Folgen. Laut dem Meinungsforschungsinstitut CBOS sank die Sympathie der Polen für die Deutschen innerhalb eines Jahres um 16 Prozentpunkte (derzeit empfinden nur 30 Prozent der Polen Sympathie für die Deutschen).

Merkel will vermeiden, dass sich der politische Streit mit der PiS-Regierung zuspitzt, deshalb hat sie die Frage der Rechtsstaatlichkeit in die Hände der Europäischen Kommission gegeben. "Ich kann von meiner Seite aus nur sagen: Da die Gespräche ja jetzt gerade sehr intensiv mit der Kommission geführt werden, hoffen wir von deutscher Seite aus natürlich, dass sich dort auch Lösungen auftun. Wir werden uns natürlich weiter informiert halten. Aber für mich wäre es sehr erfreulich, wenn die Kommission uns dann auch sagen könnte, dass diese Gespräche erfolgreich gewesen sind", sagte sie am Montag in Warschau.

Uneinigkeit in der Einwanderungsfrage bleibt

Die Deutschen haben Polen besucht, um in Erfahrung zu bringen, ob sie mit Warschau noch gemeinsame Themen haben. Am Montag haben die Polen ihre Gesprächsbereitschaft demonstriert. Das Problem ist nur, dass unklar ist, was sie zu sagen haben.

Wenn Merkel die Haltung der Polen zu einer Reform der Europäischen Union sondieren wollte, dürfte sie wahrscheinlich nicht viel erfahren haben. Eine konkrete Aussage betraf den Vorschlag, die künftige Finanzierung durch den EU-Haushalt davon abhängig zu machen, ob die Mitgliedsländer Einwanderer und Flüchtlinge aufnehmen, um demografische Löcher zu stopfen. Morawiecki ließ keine Zweifel daran, dass ihm dieser vorläufige Entwurf missfällt. Am liebsten sähe er es, wenn Fördergelder in breitem Strom für jeden der über eine Million Ukrainer fließen würden, der in den vergangenen Jahren zum Arbeiten nach Polen gekommen ist. Allerdings ist die Mehrheit von ihnen nicht in Polen sesshaft geworden, sondern eben nur auf Zeit und zum Arbeiten im Land. Sie belasten die polnische Regierung nicht im Geringsten: Sie sind vollkommen auf sich selbst gestellt, kümmern sich selbst um Wohnung und das Erlernen der polnischen Sprache. Die Regierung tut nichts für ihre Integration in die Gesellschaft.

Abgesehen davon könnte Polen ein potenzieller Bündnispartner Deutschlands in Sachen EU-Reform sein, vor allem weil den Deutschen nicht alle Ideen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron gefallen. Warschaus Problem besteht darin, dass seine Beziehungen zu Paris eisig sind. Die Franzosen lehnen seit Langem Treffen im Rahmen des Weimarer Dreiecks (Polen, Frankreich, Deutschland) ab, was die Zusammenarbeit sehr erschwert.

Die Polen zählen darauf, dass Deutschland die Franzosen doch zu einem trilateralen Treffen bewegen kann. Aus der internationalen Isolation herauszukommen hätte für Warschau auch den Vorteil, dass es wichtige Bündnispartner bezüglich eines Bauverbotes der Gaspipeline Nord Stream 2 gewinnen könnte, die in Polen als großes energiepolitisches Projekt wahrgenommen wird, das über die Köpfe der mittel- und osteuropäischen Staaten hinweg umgesetzt wird.
Roman Imielski
Roman Imielski
Polen sollen antipolnische Stimmungen im Ausland bekämpfen

Stanisław Karczewski, Marschall des polnischen Senats, will, dass die in der Welt verstreute polnische Community polnischen diplomatischen Einrichtungen meldet, wenn ihr "antipolnische Äußerungen" und Beschuldigungen, Polen hätte am Holocaust teilgenommen, begegnen.

Diese ist eine weitere internationale Maßnahme des Regierungslagers in Polen. Zuvor hatten sich damit regierungsnahe NGOs befasst, die unter anderem im vergangenen Jahr einen Wagen in mehrere europäische Länder, darunter auch nach Deutschland, hatten fahren lassen, der ein großes Plakat mit der Aufschrift "Death Camps Were Nazi German" zog.

Marschall Karczewski, Mitglied der regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), geht nun einen Schritt weiter. "Seit vielen Jahren sind Polen im In- und Ausland mit der schmerzhaften, ungerechten und vor allem faktisch falschen Formulierung 'polnische Todeslager' und mit der Beschuldigung, Polen sei in den Holocaust involviert gewesen, konfrontiert, was eine Kränkung der nationalen Würde und des nationalen Stolzes bedeutet", schrieb er an die Vorsitzenden und Mitglieder polnischer Organisationen auf der ganzen Welt. "Deshalb ist es höchste Zeit, dass das seit 29 Jahren freie Polen sich für die historische Wahrheit einsetzt. Das angenommene Gesetz über das Institut für Nationales Gedenken ermöglicht es, zur Wahrheit zu gelangen, an der uns allen liegt."

Dieses Gesetz hatte einen internationalen Skandal ausgelöst, den Widerspruch vieler Wissenschaftler und Publizisten im Land hervorgerufen und die Beziehungen zwischen Polen auf der einen Seite und Israel und den USA auf der anderen Seite verschlechtert, denn in einem seiner Artikel heißt es: "Wer öffentlich und wider den Fakten dem polnischen Volk oder dem polnischen Staat die Verantwortung oder die Mitverantwortung für vom Dritten Deutschen Reich verübte Naziverbrechen zuschreibt […] erhält eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren."

Auch bei der Gazeta Wyborcza befürchten wir, dass ein Ziel des Gesetzes ist, diejenigen zu knebeln, die über die dunklen Kapitel unserer Geschichte, insbesondere während des Zweiten Weltkrieges, sprechen oder schreiben wollen. Natürlich wurden die Konzentrationslager nicht von Polen gebaut, und es waren auch nicht Polen, die dort gemordet haben, sondern Deutsche und ihre Gehilfen. Die auf dem Gebiet Polens im Untergrund tätige polnische Regierung bestrafte diejenigen mit der Todesstrafe, die Juden verrieten; es war die polnische Regierung, die die Welt wegen der Vernichtung alarmierte, und es sind Polen, denen der Ehrentitel "Gerechter unter den Völkern", der vom Jerusalemer Institut Yad Vaschem vergeben wird, am häufigsten verliehen wurde.

Aber es hat eben auch zahlreiche Fälle von schändlichem Verhalten gegeben, wofür das extremste Beispiel der Mord an jüdischen Nachbarn in dem Ort Jedwabne im Jahr 1941 ist, der von lokalen polnischen Bewohnern verübt wurde.

In seinem Brief erwähnt Marschall Karczewski dies und versichert, es gehe ihm auch um den Aufbau guter Beziehungen zu jüdischen Kreisen auf der ganzen Welt. Doch er bittet um etwas anderes: "Bitte dokumentieren Sie alle antipolnischen Äußerungen, Darstellungen und Meinungen, die uns schaden, und reagieren Sie darauf. Informieren Sie unsere Botschaften, Konsulate und Honorarkonsulate über jede Verleumdung, die dem guten Ruf Polens schadet." Und er schließt seinen Brief mit folgenden Worten: "Ich glaube daran, dass Ihre Maßnahmen ein wirkungsvolles Instrument im Kampf um den guten Namen Polens sein werden."

Seit Jahren redet die PiS der Öffentlichkeit ein, nur sie kämpfe für den guten Namen Polens in der Welt und sie hätte Schluss gemacht mit der Pädagogik der Scham der vorherigen Regierung, sprich mit der angeblich übertriebenen Bekenntnis zur Schuld von Polen in der Vergangenheit. Das ist natürlich nicht wahr. Denn zu Zeiten der Regierung PO-PSL hatten polnische Botschaften über 1.000 Mal wegen der fälschlichen Bezeichnungen "polnische Todeslager" oder "polnische Konzentrationslager" interveniert. In den größten Medien der Welt waren Richtigstellungen und Entschuldigungen erschienen, und die Agentur Associated Press hatte sogar ihre internen Dokumente für Redakteure und Journalisten geändert, damit solche Fehler nicht mehr vorkommen.
Roman Imielski
Roman Imielski
Martin Schulz – Der Teufel in Person

Die Polen schenken der Koalitionsvereinbarung in Deutschland wenig Beachtung – mit einer Ausnahme: dass SPD-Chef Martin Schulz der möglicherweise Außenminister wird.

Gewiss, die der polnischen Regierung unterstehenden Medien mögen antideutsche Hetze, ebenso die Parlamentarier der Regierungspartei. Das eklatanteste Beispiel dafür sind die Reparationsforderungen an Deutschland für den Zweiten Weltkrieg. Trotzdem verzichtet die Regierung jetzt weitgehend auf eine Bewertung der zukünftigen deutschen Regierung.

Schließlich möchte das Anfang Januar berufene Kabinett von Mateusz Morawiecki der Welt ein versöhnlicheres Gesicht zeigen als die Vorgängerregierung unter Beata Szydło. Der neue Außenminister Jacek Czaputowicz gibt sich als "guter Polizist", er reist durch Europa und tut überall kund, Warschau wolle Dialog mit allen, Probleme entstünden allein durch Missverständnisse. Selbst Parteichef Jarosław Kaczyński, der Polen de facto regiert, drückt öffentlich die Daumen für eine weitere Kanzlerschaft Angela Merkels – wiederholt hat er gesagt, das sei aus Warschauer Sicht die beste Option. Merkel hat viel in die Beziehungen zu Polen investiert, seit sie vor gut zwölf Jahren Kanzlerin wurde.

Martin Schulz hingegen, der Außenminister werden soll, ist für viele Politiker und Anhänger der PiS sowie für die regierungsfreundlichen Medien der Teufel in Person. Ihm können sie seine sehr kritischen Worte nicht vergessen, die er als Präsident des Europäischen Parlaments an die Adresse der PiS-Regierung gerichtet hatte."Was sich da in Polen abspielt, hat Staatsstreich-Charakter und ist dramatisch", hatte Schulz Ende 2015 unter anderem gesagt. Anschließend hatte er die Einleitung eines Verfahrens zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit durch die Europäische Kommission nach Artikel 7 des EU-Vertrags nachdrücklich unterstützt. Die Gegner der PiS in Polen und viele liberale polnische Medien sind in diesem Punkt übrigens ganz einverstanden mit Schulz, weil sie die Lage ähnlich beurteilen.

Die PiS fürchtet aber noch etwas anderes: Schulz ist ein großer Europabefürworter, der die innereuropäische Zusammenarbeit festigen und die Einigung Europas nach dem Vorbild der USA beschleunigen will. Die PiS aber will diese Prozesse stoppen. Und sie ärgert, dass Schulz Überlegungen unterstützt, die Auszahlung von EU-Geld von der Achtung der Rechtsstaatlichkeit abhängig zu machen.

Mit einem solchen Außenminister hätten es die Regierenden in Warschau schwer. Denn so sehr sie antideutsche Hetze gern befeuern, so wissen sie doch: Deutschland ist der wichtigste Wirtschaftspartner Polens, deutsche Unternehmen sind wichtige Investoren im Land und Berlin ist in der Europäischen Union der Hauptakteur.
Roman Imielski
Roman Imielski
Das sanftere Antlitz der polnischen Regierung

Seit dem Herbst haben wir in Polen eine Seifenoper mit vielen Weitschweifigkeiten und gelegentlichem Durchsickern von Informationen darüber erlebt, wer in der PiS-Regierung seinen Posten verlieren würde. Die parteiinternen Kämpfe darum dauerten bis vorgestern an. Seit Dienstag wissen wir, wer geht und wer kommt.

Ihren Posten verloren haben: Außenminister Witold Waszczykowski, Umweltminister Jan Szyszko, Digitalisierungsministerin Anna Streżyńska, Gesundheitsminister Konstanty Radziwiłł und Verteidigungsminister Antoni Macierewicz. Die größte Überraschung war der Abgang des Verteidigungsministers, da er eine starke Position im Regierungslager und treue Sympathisanten unter den PiS-Wählern hatte. Allerdings lag er mit Präsident Andrzej Duda im Clinch darüber, wer tatsächlich Oberbefehlshaber des Militärs sein solle und wie die Reform der polnischen Armee auszusehen habe. Es war am Ende Duda, der darauf drängte, dass Macierewicz nicht Teil der neuen Regierung werden würde.

Lieber nicht zu viel Konfrontation mit Brüssel

Von symbolischer Bedeutung sind allerdings zwei andere Änderungen. Waszczykowski wurde vom bisherigen stellvertretenden Außenminister Jacek Czaputowicz ersetzt – einem Wissenschaftler und Experten für internationale Angelegenheiten. Und für Umweltminister Szyszko kommt Henryk Kowalczyk, ein Technokrat und Pragmatiker. Waszczykowski und Szyszko waren eine schwere Belastung für die Beziehungen Polens zu seinen westlichen Partnern und zur Europäischen Kommission gewesen.

Waszczykowski stand für einen scharfen diplomatischen Kurs gegenüber Brüssel oder Deutschland, während Szyszko den EU-Institutionen mangelnde Wertschätzung entgegenbrachte, wovon etwa die Missachtung der einstweiligen Verfügung des Europäischen Gerichtshofes zur Einstellung der Abholzungen in Białowieża, dem letzten Urwald in Europa, zeugt.

Eine der Hauptaufgaben des neuen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki ist nämlich die Berichtigung des Kollisionskurses mit Brüssel, wo bald wichtige Entscheidungen zum EU-Haushalt von 2020 bis 2027 fallen werden. Deshalb wurde er Regierungschef anstelle der außergewöhnlich populären Beata Szydło. Die ehemalige Ministerpräsidentin war zum Symbol der fatalen Europapolitik der PiS geworden, darunter die Abstimmung über die Verlängerung der Amtszeit von Donald Tusk als Präsident des Europäischen Rates, die mit einem Ergebnis von 1:27 ausging – also einer Niederlage Polens gegen den Rest der EU-Mitgliedsstaaten.

Von symbolischer Bedeutung war auch das Datum der Veränderungen innerhalb der Regierung. Seit Langem war bekannt, dass Morawiecki am Dienstagabend zu einem Treffen mit dem Präsidenten der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, nach Brüssel fliegen würde. Die Politiker sprachen über zwei Stunden lang in "sehr freundschaftlicher Atmosphäre" miteinander, einige Minuten sogar unter vier Augen. Das Hauptthema: das von der Europäischen Kommission eingeleitete Verfahren zur Überwachung der Rechtsstaatlichkeit in Polen, welches auf den Anschlag auf die Gewaltenteilung durch die PiS zurückgeht (die Missachtung der Urteile des Verfassungsgerichts sowie den Erlass neuer Gesetze zum Gerichtswesen, die die Rechtsprechung Politikern unterordnen). Beide versicherten, dass dies nicht das letzte Treffen dieser Art gewesen sei.

Vorbereitung auf die Wahl 2019

Und genau darum geht es der PiS-Regierung – ein sanfteres Gesicht zu zeigen, Spannungen auf internationaler Bühne sowie innenpolitisch abzubauen, um im Endeffekt weitere Punkte in den Meinungsumfragen gutzumachen und in der Wahl 2019 eventuell eine verfassungsgemäße Mehrheit zu erlangen.

Denn daran, dass die PiS-Regierung von ihren Angriff auf die Gewaltenteilung stoppt, glaubt niemand. Die Verantwortung dafür hat nämlich Justizminister Zbigniew Ziobro; und der hat immer noch eine außergewöhnlich starke Stellung im Regierungslager.
Roman Imielski
Roman Imielski
Polen und Ungarn demonstrieren Gemeinsamkeit gegenüber der EU

Wir sind es, die heute die wahren Werte der Europäischen Union verteidigen. Wir wollen, dass sie ein Europa der starken Staaten und offen für christliche Werte ist – so die Hauptbotschaft der Ministerpräsidenten von Ungarn und Polen, Viktor Orbán und Mateusz Morawiecki, die sich am gestrigen Mittwoch in Budapest getroffen haben.

Morawiecki ist seit Mitte Dezember Chef der polnischen Regierung und es ist kein Zufall, dass er seine erste offizielle Auslandsreise nach Ungarn unternahm. Denn die Fidesz- und die PiS-Regierung sind sich einig, wenn es um die Einwanderungsfrage (Wir nehmen keine Flüchtlinge auf. Die Politik der Umverteilung ist gescheitert. In dieser Sache ordnen wir uns dem Diktat von Brüssel nicht unter.) oder die Zukunft der Europäischen Union geht. "Wir wollen kein neues Imperium“, sagte Orbán am Mittwoch mit Blick darauf, dass sowohl Polen als auch Ungarn einst Satellitenstaaten der Sowjetunion waren.

Aber es gibt noch einen anderen Aspekt. Orbán hat als einziger Staatschef der EU öffentlich gesagt, er werde gegen mögliche Sanktionen gegen Polen eventuell sein Veto einlegen, sollte Artikel 7 des Vertrages über die Europäische Union wegen Verletzung der Grundwerte durch die PiS-Regierung Anwendung finden. Die Europäische Kommission hat beschlossen, Artikel 7 anzuwenden, aber diese Entscheidung müssen 22 von 27 EU-Staaten bestätigen – und Polen darf dabei nicht mit abstimmen. Im äußersten Fall kann das dazu führen, dass Polen sein Stimmrecht in der Europäischen Union verliert.
 
Aber während des Treffens in Budapest haben, und das ist verwunderlich, weder Orbán noch Morawiecki öffentlich ein Wort über den Artikel 7 verloren. Der ungarische Ministerpräsident ist ein begnadeter Spieler und weiß, dass es etwas anderes ist, der PiS-Regierung im Hörfunksender Kossuth Rádió Unterstützung zuzusichern, als wenn der polnische Ministerpräsident direkt neben ihm sitzt.

Schließlich hat Orbán Warschau schon einmal vor den Kopf gestoßen, und zwar bei der Abstimmung über die zweite Amtszeit des Präsidenten des Europäischen Rates Donald Tusk, denn dieser ist seit Jahren der größte politische Feind des PiS-Vorsitzenden Jarosław Kaczyński. Orbán soll in einem Privatgespräch mit dem Chef des regierenden Lagers in Polen versprochen haben, gegen die Verlängerung zu stimmen. Als es jedoch zur Abstimmung kam, stimmte er für Tusk – und Warschau verlor die Abstimmung mit einem unangenehmen 1 zu 27. Der ungarische Ministerpräsident sagte später, seine Stimme habe sowieso keine Bedeutung gehabt; er habe außerdem seiner politischen Fraktion in der EU Loyalität beweisen müssen, der Europäischen Volkspartei, zu der die ungarische Fidesz und die polnische Bürgerplattform von Tusk gehören.

Polen braucht das Geld

Morawieckis Besuch in Budapest soll Brüssel zeigen, dass Warschau nicht allein ist. Denn am 9. Januar fährt der polnische Ministerpräsident nach Brüssel, um den Chef der Europäischen Kommission Jean-Claude Juncker und dessen Stellvertreter Frans Timmermans davon zu überzeugen, dass die Entscheidung der Kommission, Artikel 7 anzuwenden, aus "dem Unverständnis für das Wesen der polnischen Reformen der Gerichtsbarkeit" resultiert.

Im Hintergrund steht jedoch etwas viel Wesentlicheres: Für den neuen EU-Haushalt für 2020 bis 2027, der derzeit erarbeitet wird, wollen viele westliche Staaten, dass die Auszahlung von EU-Fördergeld an die Einhaltung der Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit und an die solidarische Beteiligung an einer Lösung des Einwanderungsproblems gebunden wird. Und da Polen der größte Nettoempfänger von EU-Geld ist, wäre eine Begrenzung dieser Zuflüsse nicht nur eine Image-Niederlage, sondern auch ein reales Problem für die Wirtschaft.
Michał Kokot
Michał Kokot
Ein neues Gesicht für die Zerstörung des Rechtsstaats

Beata Szydło geht, Mateusz Morawiecki kommt. Der polnische Finanz- und Wirtschaftsminister soll die Regierungschefin nach ihrem Rücktritt ersetzen. So will es das Politische Komitee der regierenden nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), auf deren Chef Jarosław Kaczyński der Vorschlag zurückgeht. Bedeutet die Entscheidung vom Donnerstagabend einen Wechsel der polnischen Politik? Wohl kaum.

Morawiecki ist erst seit 2015 in der Politik. Und er teilt viele Ansichten Kaczyńskis. Den Abbau des Rechtsstaats und der Gewaltenteilung mithilfe von Justizreformen wird er weiter vorantreiben. Über die Veränderungen des politischen Systems in Polen sagte Morawiecki schon im Februar in einem Interview mit der Deutschen Welle, dass "das Recht nicht das Wichtigste" sei.

"Eine neue Situation im Land und in der Welt" habe den Wechsel erzwungen, hatte PiS-Sprecherin Beate Mazurek am Donnerstag gesagt. Die Partei hofft dabei offenbar, dass es dem neuen Premierminister besser gelingen wird, seine ausländischen Kollegen zu überzeugen, alles laufe in Polen nach rechtsstaatlichen Prinzipien und alle EU-Vorgaben würden erfüllt. Morawiecki könnte es in der Tat leichter fallen, sich auf der internationalen Ebene zu bewegen, als Szydło dies vermochte: Er spricht Fremdsprachen und war jahrelang im Bankensektor tätig, das dürfte helfen.

Dabei wird er genauso kontrollierbar sein wie seine Vorgängerin. Auch er hat keinen starken politischen Hintergrund und konnte sich auch in der PiS-Fraktion noch nicht besonders gut vernetzen. Kaczyński kann ihn ebenso schnell abberufen, wie er ihn zum Premierminister gemacht hat.

Möglich ist, das Morawiecki einen größeren Einfluss darauf haben wird, wer Mitglied seiner Regierung wird. Als Szydło vor zwei Jahren nominiert wurde, bekam sie von Kaczyński eine Liste mit den Namen der zukünftigen Minister. Morawiecki wird wohl mehr Spielraum haben, weil er bei Kaczyński eine stärkere Position genießt, der seine Expertise für Wirtschaft und Finanzen schätzt.

Kaczyńskis engste Anhänger in der PiS haben ihn seit Monaten dazu gedrängt, selbst Premierminister zu werden. Szydło war in den vergangenen zwei Jahren ohnehin nur das Bindeglied zwischen dem Parteichef und der Regierung, obwohl sie formell an deren Spitze stand. Jede wichtige Entscheidung musste immer die Parteizentrale bestätigen. Das hat auch manches verzögert, das Kaczyński als Premierminister sicher direkter würde umsetzen können.

Kaczyński weiß aber auch, wie unpopulär er in der polnischen Gesellschaft ist. 44 Prozent der Bürger misstrauen ihm, ergab jüngst eine Umfrage des CBOS-Instituts: nur 38 vertrauen dem PiS-Chef. Lediglich Antoni Macierewicz, der umstrittene Verteidigungsminister, schnitt schlechter ab als er.

Mit Morawiecki soll die Regierung nun ein neues, freundliches Gesicht bekommen – einen Politiker, der das moderne Polen verkörpern kann. In Wahrheit scheint es aber nur darum zu gehen, eine neue Figur zu finden, die dem Abbau des Rechtsstaats Legitimität verleiht.
Michał Kokot
Michał Kokot
Polnische Regierung wittert Verräter im EU-Parlament

Im EU-Parlament war es am Mittwoch ausgesprochen heiß hergegangen. Die Abgeordneten hatten über eine Resolution bezüglich der Rechtsstaatlichkeit in Polen zu entscheiden. Auf deren Grundlage kann ein Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrages gegen Polen eingeleitet werden. Dies könnte für die polnische Regierung beispielsweise den Entzug des Stimmrechts im EU-Ministerrat zur Folge haben.

Ryszard Legutko, polnischer Europaabgeordneter und Mitglied der in Polen regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) reagierte wütend darauf, dass in der Debatte im EU-Parlament Kritik an der polnischen Regierung laut wurde. Polen wurde vorgeworfen, die Rechtsstaatlichkeit mit Füßen zu treten und die Gewaltenteilung auszuhebeln.

Legutko sprach von einer "antipolnischen Orgie", von "niagarafallartigen Lügen", es werde "Quatsch erzählt" – auch in den deutschen Medien. Er verglich das Vorgehen der EU-Politiker mit dem Vorgehen sowjetischer Diplomaten. Dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron warf er postkoloniales Verhalten gegenüber Polen vor.
 
Auch in Polen ging es am Mittwoch heiß her. Wie erwartet reagierten Politiker der Regierungspartei am radikalsten. Es herrschte ein Ton, der schon aus den vergangenen Monaten bekannt ist. Damals warf die PiS den Europaabgeordneten der oppositionellen Bürgerplattform (PO) vor, sie machten sich zu "Denunzianten", indem sie die Debatte gegen Polen unterstützten und "ihr eigenes Land beschuldigen".

In diesem Ton äußerte sich jetzt Ministerpräsidentin Beata Szydło auf Twitter. Sie nannte die Debatte und die Resolution "einen skandalösen Vorfall".


"Politiker, die ihr Land vor dem internationalen Forum verleumden, sind unwürdig, ihr Land zu vertreten", schrieb Szydło auf Twitter.

Innenminister Witold Waszczykowski pflichtete ihr bei und warf der Opposition vor, sie hätte die Debatte veranlasst, weil sie die demokratisch gewählte Regierung stürzen wolle.

Auch dies ist eine bereits bekannte Taktik regierungstreuer Medien, die gern von "der Straße und dem Ausland" sprechen. Diese Bezeichnung soll nahelegen, die Opposition bereite mit ihren Demonstrationen auf der Straße und durch äußere Interventionen einen Staatsstreich gegen die legal gewählte Regierung vor.

Diese Unterstellungen haben übrigens auf einen Großteil der oppositionellen Abgeordneten im Europaparlament ihre Wirkung getan: Zwölf von ihnen enthielten sich bei der Abstimmung über die Resolution der Stimme, nur sechs von ihnen stimmten dafür.

Die größte Empörung unter den rechten Politikern lösten die Worte von Guy Verhofstadt, dem Fraktionsvorsitzenden der ALDE, aus. Verhofstadt sagte, beim Unabhängigkeitsmarsch in Warschau seien am vergangenen Samstag "Tausende Faschisten, Neonazis und Anhänger der Vorrangstellung der weißen Rasse 300 Kilometer von Auschwitz entfernt marschiert". Marek Jakubiak von der Fraktion Kukiz'15, die rechts von der PiS steht, sagte, im Kontext dieser Worte "sollten wir über eine kollektive Klage und über Entschädigungsforderungen nachdenken".

Verhofstadt hat zugegebenermaßen etwas überzogen, als er alle Teilnehmer der samstäglichen Demonstration in einen Topf warf und sie Faschisten und Neonazis nannte. Unter den Demonstranten waren größtenteils normale Menschen, die mit Faschismus nichts am Hut haben.

Dies ändert jedoch nichts daran, dass während des Marsches viele rassistische und faschistische Parolen zu hören waren, auf die weder die Polizei noch die Regierung reagierten. Die PiS ist bisher überhaupt nicht gegen Vorfälle mit Beteiligung von rechtsextremen Gruppierungen vorgegangen. Im Gegenteil: Die Regierung hat in der Vergangenheit nicht nur Demonstrationen des neofaschistischen Nationalradikalen Lagers (ONR) im Zentrum von Warschau gestattet, sondern sogar Polizeispaliere aufstellen lassen, um die ONR-Demonstranten vor gegen sie demonstrierenden Pazifisten zu schützen.

Damit hat die PiS diesen Gruppierungen eindeutig Sympathie signalisiert – und kann auch mit deren Unterstützung rechnen.

Erst jetzt, da es zu Auseinandersetzungen auf internationaler Ebene gekommen ist, sind manche Regierungsmitglieder zu sich gekommen und haben Konsequenzen für Personen angekündigt, die während des Unabhängigkeitsmarsches faschistische Parolen gerufen haben.
Michał Kokot
Michał Kokot
"Wir sind Rassenseparatisten"

Die polnische Regierung hat sich das ganze Wochenende lang bemüht, die faschistischen Parolen und Transparente, die beim Marsch der Unabhängigkeit in Warschau getragen wurden, um jeden Preis kleinzureden. Die Teilnehmer skandierten Losungen wie "Nicht islamisch, nicht laizistisch, Polen ist und bleibt katholisch!" und "Ganz Polen singt mit uns beflissen, die Flüchtlinge soll’n sich verpissen!" Neben der weiß-roten polnischen Nationalflagge wehten auch Fahnen mit keltischen Kreuzen und die Standarten des faschistischen National-Radikalen Lagers (Obóz Narodowo-Radykalny – ONR), das an die Tradition der gleichnamigen faschistischen Organisation aus der polnischen Zwischenkriegszeit anknüpft.

Die Regierung jedoch zeigte sich gegen diese Tatsachen immun und bezeichnete den Marsch der Unabhängigkeit einfach als ein "großes fröhliches Fest". Gleich nach Ende der Demonstration am Samstag berief Innenminister Mariusz Błaszczak eine Pressekonferenz ein. Die Demonstration war seinen Worten zufolge "ruhig und ohne Zwischenfälle" verlaufen – obgleich Teilnehmerinnen der Gegendemonstration verprügelt worden waren. Auf die Frage der Journalisten zu beim Marsch gezeigten rassistischen Parolen – unter anderem "Weißes Europa" und "Reines Blut" – entgegnete der Minister, er könne sich dazu nicht äußern, da er sie nicht gesehen habe. Dann warf er den Journalisten vor, sie stellten selbst Behauptungen auf, um ihnen dann "Ereignisse und Erscheinungen" zuzuordnen.

"Wir können diese Fälle vollkommen offen und ungehindert analysieren", sagte der Minister. Als aber ein Journalist einer Wochenzeitschrift nachhakte und fragte, ob diese Losungen seiner Meinung nach nicht rassistisch seien, erwiderte Błaszczak, der Reporter repräsentiere eine bestimmte politische Richtung, benehme sich "wie ein streitsüchtiger Politiker" und schlage "auf der Pressekonferenz Krach".

Am Sonntag versuchte die Regierung weiter, die Journalisten zu Sündenböcken zu machen und die rassistischen und nationalistischen Losungen auf den Demonstrationen zu leugnen.

Doch als Piotr Stasiński, der stellvertretende Chefredakteur der Gazeta Wyborcza, diese Parolen dann in der Sendung Presseloge des privaten Fernsehsenders TVN24 zitierte, bekam er plötzlich Aufmerksamkeit. Er erinnerte daran, dass Demonstrationsteilnehmer Losungen wie "Ganz Polen singt mit uns beflissen, die Flüchtlinge soll’n sich verpissen!" skandiert hatten. Darauf reagierte Senatsmarschall Stanisław Karczewski per Twitter und erklärte, er werde der Staatsanwaltschaft Strafanzeige gegen Stasiński erstatten, weil dieser sich im Fernsehen vulgärer Sprache bedient habe. Karczewski war empört, dass sein Enkel, mit dem er gerade Schach spielte, das Schimpfwort gehört hatte.

Alle Illusionen bezüglich des Rassismus während der Demonstration wurden kurz danach endgültig zerstört. Denn am Sonntag bekannte Mateusz Pławski, Sprecher der Allpolnischen Jugend (Młodzież Wszechpolska) und einer der Organisatoren des Marsches, in einem Interview: "Wir sind Rassenseparatisten, unserer Meinung nach ist nicht eine Rasse besser als die andere, aber jede ist anders und bewohnt einen anderen Kontinent. Ethnische Gruppen sollte man nicht mischen." Und er fügte hinzu, seine Organisation sei der Ansicht: "Eine Person mit schwarzer Hautfarbe kann kein Pole sein." Darauf brach ein Sturm los. Die anderen Organisatoren distanzierten sich von Pławski, er selbst trat zurück.

Seine Worte zeigten nicht nur die wahren Intentionen eines nicht geringen Teils der Teilnehmer des Marsches, die sich offen dazu bekennen, Rassisten und Faschisten zu sein. Sie zeigten auch, dass die derzeitige Regierung kein Problem damit hat, solche Positionen zu tolerieren. Mehr noch: Sie unterstützt sie und zieht politischen Nutzen daraus. Journalisten aber, die dem Rassismus kritisch gegenüberstehen, zählt sie zu ihren politischen Gegnern.
Roman Imielski
Roman Imielski
Wie die Karnickel …

"Wer, wenn nicht wir Kaninchen wissen, wie man für zahlreiche Nachkommen sorgt. Wollt ihr unser Geheimnis kennenlernen? Erstens bewegen wir uns viel. Zweitens ernähren wir uns gesund. Drittens lassen wir uns nicht stressen, wenn es nicht sein muss. Und viertens lassen wir es nicht krachen. Wenn ihr also einmal Eltern werden wollt, nehmt euch ein Beispiel an uns Kaninchen. Ich weiß, wovon ich spreche, mein Vater hatte 63 Nachkommen."

Während diese Worte in dem kurzen, 30 Sekunden langen Werbespot des Gesundheitsministeriums zu hören sind, hoppelt eine Kaninchenfamilie munter auf dem Bildschirm hin und her.
Am Ende des Spots informieren die Macher: "Wir unterstützen einen gesunden Lebensstil. Das Ministerium für Gesundheit" und das Logo des nationalen Gesundheitsprogrammes ist zu sehen.

Polen hat wie viele EU-Länder Probleme mit der Geburtenzahl. Die PiS-Regierung rühmt sich, sich als Einzige dieser Sache in den vergangenen Jahrzehnten ernsthaft angenommen zu haben. Sie lobt sich selbst, ihr Programm 500+, das von ihr eingeführte Kindergeld, sei ein Segen – jede Familie in Polen bekommt für das zweite und jedes weitere Kind 500 Złoty (umgerechnet etwa 115 Euro) monatlich; alleinerziehende Mütter oder Väter mit geringem Einkommen und nur einem Kind bekommen ebenfalls das Kindergeld.

Spezialisten bezweifeln allerdings, dass das Programm positive Auswirkungen auf die Demografie hat, obwohl es zweifelsohne einer großen Zahl von Familien mit geringem Einkommen aus der Armut geholfen hat.

Allgemeine Betretenheit

Der Spot des Ministeriums für Gesundheit hat allgemeine Betretenheit hervorgerufen, selbst bei manchen Politikern der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS). Die Opposition kritisiert die Kaninchen-Kampagne mit dem Hinweis darauf, dass sie 2,7 Millionen Złoty (etwa 600.000 Euro) gekostet und das Ministerium mit dem Spot die Frage der Geburtenrate der Polen vulgarisiert habe. Die Regierung rufe einerseits die Bürger dazu auf, sich wie Kaninchen zu vermehren, streiche aber andererseits die Finanzierung für künstliche Befruchtungen aus dem Staatsbudget.
 
Gesundheitsminister Radziwiłł bereitet das kein Kopfzerbrechen. "Der Spot wurde von PR-Experten erstellt. Selbst wenn er ein wenig kontrovers ist, so spricht er doch ein Problem Polens an", sagte der Minister vor Journalisten. "Selbst wenn manchen Menschen dieser doch sympathische kleine Werbefilm nicht gefällt und ich diese Emotionen verstehe, denke ich doch, dass es wichtig ist, eine Diskussion zu diesem Thema anzustoßen."

Der Spot soll bis Jahresende auf den beliebtesten Fernsehsendern gezeigt werden.
Roman Imielski
Roman Imielski
Attacken auf Ursula von der Leyen gehören zur PiS-Taktik

Welche absurde Definition von Diplomatie die Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) hat, wurde in den vergangenen Tagen wieder einmal deutlich. Dieses Mal traf es den deutschen Militärattaché: Er wurde von Verteidigungsminister Antoni Macierewicz einbestellt und musste sich seine Empörung über die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen anhören. Der Vorwurf: Sie würde die "Widerstandsbewegung" in Polen unterstützen.

Seit die Ministerin in einer ZDF-Sendung zu Besuch war, wettern PiS-Politiker und regierungsnahe Medien über die angeblich unerhörte Einmischung Deutschlands in Polens Innenpolitik. Dabei verdrehen sie oft die Worte von der Leyens und reißen sie aus dem Zusammenhang.

Der Trubel ging los, als sich die Ministerin einer Frage stellte. Sie sollte in der Sendung sagen, ob sich die osteuropäischen Staaten überhaupt noch nach Europa sehnen oder vielmehr Anhänger der Nato seien, weil das transatlantische Bündnis auch gegen Wladimir Putin kämpfen könne. "Gerade für unsere osteuropäischen Länder möchte ich eine Lanze brechen", sagte von der Leyen daraufhin in der Livesendung. Sie erwähnte, was die baltischen Länder und Polen auf sich genommen hätten, um EU-Mitglied zu werden. Und sie sprach über die Vorreiterrolle der polnischen Solidarność-Bewegung der achtziger Jahre, die den Untergang des Ostblocks eingeläutet hatte.

Weiter erzählte sie, welche fantastischen Mechanismen der Zusammenarbeit es gebe, wie zum Beispiel den Erasmus-Studentenaustausch. Ihre Kinder hätten in Polen studiert, als es 2015 zum Machtwechsel in der Regierung kam. "Man muss den gesunden demokratischen Widerstand, gerade der jungen Generation in Polen, unterstützten", sagte von der Leyen in diesem Zusammenhang. Dann rief sie die EU noch dazu auf, über ihre eigene Zukunft nicht ohne Polen und andere Länder der Region zu diskutieren. Besser sei es, Polen einzubinden und die Türen für alle offen zu halten.

Das war's – nicht mehr, nicht weniger hat sie gesagt. Obwohl es wirklich schwer fällt, darin einen Angriff auf die Regierung Polens zu sehen, hielt dies PiS-Politiker nicht von hysterischen Reaktionen ab. Die PiS-Partei macht seit langer Zeit Stimmung gegen Deutschland, indem sie zum Beispiel von Deutschland Reparationen in Höhe von sechs Billionen Dollar fordert, den Deutschen vorwirft, ihre Verbrechen im Zweiten Weltkrieg nicht aufgearbeitet zu haben und Berlin beschuldigt, den "Putsch" – so bezeichnet die Regierung Proteste von Regierungsgegnern – zu unterstützen.

Die kritischen Reaktionen auf die Worte von der Leyens sind durchdacht. Denn in Polen stehen Abgänge im Kabinett von Ministerpräsidentin Beata Szydło an. Unklar ist bisher nur, welcher Minister sein Amt verlieren wird. Genau diese Unsicherheit beeinflusst aber die scharfe Wortwahl von Politikern gegenüber Deutschland. Frei nach dem Motto: Je kritischer ich bin, desto besser werden meine Umfragewerte.

Ein derartig gedankenloses Vorgehen ist traurig. Denn Polens ohnehin angespannten Beziehungen zu Deutschland, seinem wichtigsten wirtschaftlichen und politischen Partner in der EU, werden sich dadurch nur verschlechtern.
Roman Imielski
Roman Imielski
Reparationsforderungen an Deutschland dienen dem innenpolitischen Kampf

Regierende Politiker und regierungsnahe Medien in Polen behaupten, dem Land stünden ein bis sechs Billionen Dollar Kriegsentschädigung von Deutschland zu. Zuletzt kam ein Gutachten des Büros für Sejm-Analysen des polnischen Parlaments zu diesem Schluss und konstatierte: Behauptungen, die Ansprüche seien verfallen oder verjährt, seien unbegründet.

Um das Thema Reparationen gibt es in Polen viel Aufregung, seit Jarosław Kaczyński es am 1. Juli auf dem PiS-Kongress in Przysucha wieder einmal angesprochen hat. Seitdem fahren die Regierung und die ihr wohlgesinnten Medien – darunter die der regierenden PiS unterstellten öffentlichen Medien – eine große Propagandaaktion in dieser Sache.

Das Gutachten

Das Gutachten des parlamentarischen Büros für Sejm-Analysen hatte ein wenig auf sich warten lassen, wurde dann aber auf Bitte des PiS-Abgeordneten Arkadiusz Mularczyk von Robert Jastrzębski von der Universität Warschau erstellt. Jastrzębski hatte die PiS bereits zuvor unterstützt, nämlich bei ihrem Anschlag auf das Verfassungsgericht, das durch Personaländerungen der Regierungspartei untergeordnet wurde.

Das Gutachten umfasst 40 Seiten und führt von der Lehre des gerechten Krieges des polnischen Gelehrten Paweł Włodkowic aus dem 15. Jahrhundert über die Haager Friedenskonferenz (1907), den Versailler Vertrag (1919), den Young-Plan (1929) bis hin zum Potsdamer Abkommen von 1945 und dem im selben Jahr geschlossenen Vertrag zwischen der damaligen polnischen Regierung und der Sowjetunion, laut dem Polen 15 Prozent der der UdSSR zustehenden Reparationen aus Deutschland bekommen sollte.

Zentral sei, so Jastrzębski, der polnische Verzicht auf Reparationen aus Deutschland vom 22. August 1953. Der Experte ist der Meinung, dieser Verzicht sei rechtlich fehlerhaft gewesen, da von der Sowjetunion erzwungen, und hätte ausschließlich das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik betroffen. Wohlgemerkt war als Antwort auf den Reparationsverzicht der westlichen Staaten in den Jahren 1952 und 1953 und die Gründung der Bundesrepublik Deutschland die Sowjetunion mit ihrer Besatzungszone, sprich der DDR, ähnlich verfahren.

Jastrzębski behauptet außerdem, die Reparationsfrage sei bis heute nicht geregelt und tauche in keinem deutsch-polnischen Rechtsakt auf. Weder im Vertrag mit der Bundesrepublik von 1970 bezüglich der Westgrenze Polens noch in der Regierungserklärung von Bundeskanzler Helmut Kohl vom November 1990 und auch nicht im deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag von 1991. Er führt außerdem den Beschluss des polnischen Sejms von 2004 an, der diesen dazu verpflichtet habe, von der Bundesregierung die Polen zustehenden Reparationen einzufordern.

Offiziell fordern oder lieber nicht?

Nach der Veröffentlichung des Gutachtens sagte der Abgeordnete Mularczyk erneut, Polen stünden nach dem Völkerrecht Reparationen zu. Außenminister Witold Waszczykowski schränkte jedoch ein, zusätzliche Analysen seien notwendig, bevor Polen offiziell Reparationen fordere. Das würde mehrere Wochen oder sogar Monate dauern.

Experten und Opposition kritisieren das Gutachten

"Wir haben es mit einem Gutachten zu tun, das eine bestimmte These belegen sollte", schreibt Robert Grzeszczak von der Fakultät für Recht und Verwaltung an der Universität Warschau in einem Kommentar für die Tageszeitung Gazeta Wyborcza. "Ich sehe hier keine juristischen Argumente. Die Behauptung, der Reparationsverzicht von 1953 habe gegen das polnische Recht verstoßen und sei von der UdSSR erzwungen worden, ist kein Argument nach dem Völkerrecht. Dies kann ein Argument in einer internen Diskussion sein. Wichtig ist, dass dieser Verzicht in der Welt anerkannt wurde, die Regierungen der Volksrepublik und des freien Polens ihn nicht infrage gestellt haben und er in der internationalen rechtlichen Ordnung Gültigkeit hat."

Auch die Opposition kritisiert das Vorgehen der Regierung: Es gehe hier nicht darum, für die Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg tatsächlich Geld zu bekommen, sondern es handle sich um eine Propagandaaktion, die die Umfragewerte der PiS verbessern soll.

Das Thema Reparationen wird von PiS-Politikern immer wieder neu aufgewärmt. Vor zehn Jahren hatte Lech Kaczyński das getan, als er als Stadtpräsident Warschau regierte, bevor er Präsident Polens wurde. Auf seine Empfehlung hin war 2004 der Schaden, der der polnischen Hauptstadt von Deutschland während des Zweiten Weltkrieges zugefügt worden war, auf 45,3 Milliarden Dollar geschätzt worden. Offiziell hat jedoch nie jemand Reparationen verlangt.

Die größten Verluste

Niemand in Polen zweifelt daran, dass das Land während des Zweiten Weltkrieges die größten Verluste erlitten hat. Sechs Millionen polnische Bürger sind umgekommen, die meisten wurden von den Nazis ermordet. Das sind 17 Prozent der Bevölkerung, die höchste Zahl unter allen Staaten, die unter dem Nationalsozialismus gelitten haben. Es zweifelt auch niemand daran, dass die polnische Regierung die Entscheidung von 1953 selbstständig getroffen hat – und dass der Druck seitens der UdSSR dabei eine wichtige Rolle gespielt hat. Und niemand zweifelt daran, dass Polen zu geringe Reparationszahlungen erhalten hat.

Doch die PiS spielt in ihrer Politik mit der Deutschland-Feindlichkeit – es geht ihr gar nicht um reale Entschädigungen. Dieses Thema, so sagt es die Mehrheit der Spezialisten auf diesem Gebiet, sei mit den Entscheidungen der Regierungen des kommunistischen Polens und mit den Abkommen der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts abgeschlossen. Die linke Regierung unter Marek Belka hat das im Jahr 2004 bestätigt.