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18.02.2014 | Steuerrecht | Interview | Online-Artikel

„Steuerhinterziehung ist ein Massenphänomen“

verfasst von: Sylvia Meier

7:30 Min. Lesedauer

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Springer-Autor Thomas Wenzler ist in Medien als Experte zum Thema Selbstanzeigen und Steuerhinterziehung gefragt. Im Interview äußert er sich zu den aktuellen Entwicklungen.

Springer für Professionals: Herr Wenzler, zuletzt wurden immer mehr prominente Fälle von Steuerhinterziehung und Selbstanzeigen bekannt. Nun diskutiert Deutschland: Ist das jetzige System zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung gerecht? Oder sollte die Selbstanzeige abgeschafft werden? Wie sehen Sie das?

Ich bin der Meinung, die Selbstanzeige muss erhalten bleiben. Selbstanzeigenfälle  sind Fälle von Steuerhinterziehung, die der Schuldige selbst aufdeckt. Die Selbstanzeige muss so verfasst sein, dass der Fiskus ohne Nachforschungen größerer Art nachveranlagen kann. Der Selbstanzeigenerstatter – zusammen mit seinem Berater, den er braucht, um eine Selbstanzeige auch tatsächlich auf den Punkt zu verfassen – nimmt der Finanzverwaltung damit eine Menge Arbeit ab. Er deckt eine Straftat auf, die der Staat vielleicht nicht entdeckt hätte. Und die Ausstattung der Steuerfahndung in Deutschland ist keineswegs so, dass man sagen könnte: Über kurz oder lang wären definitiv alle diese Fälle entdeckt worden.

Ist das System der Selbstanzeige im Steuerrecht gerecht?

Hier gibt es ein paar Sachen zu sagen: Erstens ist die Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung nicht die einzige Selbstanzeigenmöglichkeit. Es gibt so etwas Ähnliches bei der Geldwäsche und bei der Hinterziehung von Sozialabgaben. Es gibt außerdem eine ähnliche Selbstanzeigenmöglichkeit über das Parteiengesetz. Von der Abschaffung dieser Selbstanzeigemöglichkeiten redet kein Mensch. Will man politische Parteien wirklich besser als den Steuerbürger stellen?

 Das Argument, eine Selbstanzeigenmöglichkeit, die der  des § 371 AO ähnelt, gäbe es sonst nirgends im Gesetz, stimmt so nicht.

Und die Verjährungsfristen?

Im Fall Alice Schwarzer ging es um nicht versteuerte Erträge aus einer Geldanlage seit den 80er-Jahren. Steuerrechtlich gilt in Fällen von Steuerhinterziehung eine Festsetzungsverjährungsfrist von 10 Jahren, die aber infolge der Vorschriften zur sog. Anlaufhemmung  regelmäßig 11 oder 12 Jahre beträgt. Für die Jahre 11 und 12 erhält man infolge der Aufbewahrungsfrist von nur 10 Jahren von  Schweizer Banken keine Unterlagen mehr Das muss man bedenken, wenn man über Verjährungsfristen diskutiert. Wenn wir strafrechtlich hier etwas ändern und der Betroffene vielleicht gar keine Unterlagen mehr bekommt für das betroffene Jahr, läuft das auch strafrechtlich auf Schätzungen  hinaus. Das geht m.E. in der Diskussion derzeit unter. In der Praxis funktioniert das nicht ohne weiteres, weil an strafrechtliche Schätzungen sehr hohe Anforderungen zu stellen sind, wenn sie zu einer Sanktion gegen den Beschuldigten führen sollen.

Sie hatten noch einmal darauf hingewiesen, wie wichtig es ist, bei einer Selbstanzeige Beratung in Anspruch zu nehmen. Denn eine Selbstanzeige wirkt nur dann strafbefreiend, wenn sie tatsächlich wirksam ist.

Zu mir kommen Mandanten, die eine Selbstanzeige erstatten wollen. Ich bereite das mit dem jeweiligen Steuerberater dann so auf, dass wir eine vollständige Selbstanzeige abgeben. Bisher hatten wir noch keinen Fall, in dem gesagt wurde: Die Selbstanzeige ist unvollständig. Die Fälle, in denen Bürger die Selbstanzeige selbst machen und dann sagen: Hier ist etwas schief gegangen, ich brauch jetzt Hilfe – sind zum Glück selten. Ein Beispiel hierfür kann der Fall Uli Hoeneß sein. Er hat wohl eine fehlerhafte Selbstanzeige abgegeben und ist erst danach zu einem Berater für Selbstanzeigen gegangen. So habe ich das zumindest in den Medien mitbekommen. Möglicherweise wäre es hier besser gewesen, von vornherein diesen Berater aufzusuchen.

Warum werden gerade jetzt so viele Fälle bekannt? Oder täuscht der Eindruck?

Meines Erachtens liegt das weder an den sog. Steuerdaten-CDs oder am Fall Uli Hoeneß. Es sind im Wesentlichen die Schweizer Banken, die ihre Kunden dazu veranlassen, Selbstanzeigen zu erstatten. Wir sprechen hier von der sog. Weißgeldstrategie. Entweder, die Kunden machen ihre Konten weiß, oder die Bank kündigt die Geschäftsbeziehung. Die Schweizer Banken wollen kein Schwarzgeld mehr.

Dass so viele Fälle aufgedeckt werden, liegt an Indiskretionen. Sowohl vonseiten einiger Bankmitarbeiter, aber auch in einigen Fällen aus der Finanzverwaltung. Für mich ist nicht denkbar, dass der Fall Uli Hoeneß so bekannt geworden wäre, ohne dass jemand in der Finanzverwaltung indiskret gewesen wäre. Das ist eine klare Verletzung des Steuergeheimnisses, die strafbar ist. Und die ist genauso strafbar, wie die Steuerhinterziehung selbst. Ich finde es eine Zumutung, wenn hier auf Herrn Hoeneß eingeschlagen wird, für den immer noch die Unschuldsvermutung gilt. Das geht leider unter. Aber über die Verletzung des Steuergeheimnisses gibt es so gut wie keine Empörung. Das finde ich störend.

Der Druck auf Personen in der Öffentlichkeit wie Alice Schwarzer und Uli Hoeneß – aber auch auf Unternehmen, wenn es um Bilanzmanipulationen, Steuerhinterziehung und Ähnliches geht - ist immens. Ein sog. Shitstorm im Internet ist dann kaum aufzuhalten oder kontrollierbar. Man stellt sich fast die Frage: Was wird in einem solchen Fall mehr gefürchtet? Eine mögliche Strafe vom Finanzamt, die Steuernachzahlungen oder die Rufschädigung durch Internet und Medien?

Ich glaube, dass die Rufschädigung hier für die Betroffenen schlimmer ist als alles andere. Nach einer vollständigen, wirksamen Selbstanzeige gibt es keine Strafe, allenfalls einen Zuschlag nach § 398a AO, wenn es um eine Steuerhinterziehung in Höhe von mehr als 50.000 € geht. Es werden Steuern nachgezahlt, Zinsen und Beraterkosten. Aber mehr passiert nicht. Wenn der Fall an die Öffentlichkeit kommt, dann ist das viel schlimmer.

Steuerhinterziehung betrifft nicht nur Prominente. In der Talkrunde bei „Maybrit Illner“, an der Sie auch teilgenommen haben, beschreibt Herr Thomas Oppermann von der SPD, er befürchte, dass die Dunkelziffer der Steuerhinterzieher weitaus größer sei, als bisher angenommen. Wie sehen Sie das? Ist das tatsächlich ein Massenphänomen? Oder wird das in den Medien gerade vielleicht auch etwas übertrieben dargestellt?

Ich sehe das als Massenphänomen an. Gucken Sie sich die Handwerker an, die ohne Rechnung arbeiten. Die Schwarzarbeiter, die am Wochenende auf dem Bau arbeiten. Taxifahrer, die schwarz arbeiten. Und so weiter. Fälle, in denen in der Steuererklärung bei den Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte mal schnell 10 Kilometer dazugemogelt werden, sind auch eher der Regelfall als die Ausnahme. Das ist alles Steuerhinterziehung. Das ist ein Massenphänomen. Nur, die Politik macht es natürlich auch in der öffentlichen Wahrnehmung leicht: Es gilt nur der gut Betuchte als Steuerhinterzieher. Der vermeintliche Reiche mit Konto in der Schweiz. Nicht jeder ist da wirklich reich. Wenn jemand 100.000 Euro über Jahrzehnte gespart hat, ist der nicht wirklich reich. Ich halte die Wahrnehmung hier für schief – aber auch von der Politik gefördert. Und die Selbstanzeige ist nicht nur ein Mittel für die Reichen, die ihre Zinseinnahmen nicht versteuert haben. Das betrifft jede Art von Steuerhinterziehung!

Woran liegt das Ihrer Ansicht nach? Fehlt es, wenn es ums Geld geht, an Unrechtsbewußtsein? Warum ist man hier „toleranter“ als bei anderen Straftaten?

Da fehlt schon das Unrechtsbewusstsein. Die Leute denken: Das machen ja alle so. Und die Steuern sind viel zu hoch, da muss ich selbst korrigierend eingreifen. Was man sich hier als Berater alles anhört ist schon erstaunlich. Ich kann nur sagen: Da sind die Leute auf dem Holzweg. Steuerhinterziehung ist ab dem ersten Euro strafbar. Ob es ab dem ersten Euro verfolgt wird, ist wieder eine andere Frage.

Wie nehmen Sie das wahr? Wer wird aktiv und kommt in Ihre Kanzlei und will durch eine Selbstanzeige alles in Ordnung bringen?

Das sind Kriminalbeamte, das sind Lehrer oderSelbstständige mit Kapitalerträgen im Ausland. Da ist dann auch die Rentnerin im Alter von  85 Jahren dabei, die sich ein Leben lang etwas zusammen gespart hat. Da ist aber genauso der Mitfünfziger dabei, der vor Jahren Schwarzgeld verdient und in die Schweiz gebracht hat. Der Regelfall – das erkenne ich in der Praxis – sind es Leute, die über die Jahre immer etwas von ihrem Geld in die Schweiz gebracht und über die Jahre damit ein größeres Vermögen gemacht haben.

Abschließende Frage: Wenn Sie sich als Experte etwas wünschen und am System etwas ändern dürften. Was wäre das?

Wenn Sie mich als Experte fragen: Ich würde das System der Selbstanzeige vorläufig beibehalten. Aber ich würde vielleicht auch einmal dafür sorgen, dass Steuerverschwendung strafbar wird. Bei mir ist hier in der Nähe der Nürburgring. Hier wurden von der Landesregierung hunderte von Millionen verschwendet. Ohne dass jemand strafrechtlich verfolgt wird. Und ich würde mir wünschen, dass Großkonzerne ihre Steuerlast nicht durch geschickte Ausnutzung von Doppelbesteuerungsabkommen usw.  ins Ausland verlagern und tricksen können. Das sollte man ändern und würde damit sicherlich die Steuermoral des Bürgers stärken.

Zur Person

Rechtsanwalt Thomas Wenzler ist Fachanwalt für Steuerrecht und langjährig erfahrener Steuerstrafverteidiger sowie Fachbuchautor. In Medien und Talkrunden wie "Maybrit Illner" wird er als Experte zur aktuellen Diskussion befragt.
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Die Hintergründe zu diesem Inhalt

2010 | OriginalPaper | Buchkapitel

Selbstanzeige

Quelle:
Steueroasen

2010 | OriginalPaper | Buchkapitel

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Quelle:
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