«Starke Frauen gelten immer noch als unsexy»

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Cinderella-Komplex«Starke Frauen gelten immer noch als unsexy»

Frauen mit Cinderella-Komplex pfeifen auf Karriere und sehnen sich stattdessen nach einem Versorger. Frauenrechtlerinnen sind besorgt.

Nikolai Thelitz
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Nikolai Thelitz

Die jungen Frauen von heute sind gebildet wie nie, haben gleiche Rechte und Pflichten wie Männer – und trotzdem sind sie in den Führungsetagen von Unternehmen und auf Spitzenpositionen in der Politik immer noch die Ausnahme. Ein Grund dafür: der Cinderella-Komplex. So nennt die US-Autorin Colette Dowling das Phänomen, das die Angst der Frauen vor der eigenen Unabhängigkeit beschreibt.

Trotz Emanzipation und Freiheit hätten Frauen insgeheim immer noch den Wunsch nach einem Versorger und Beschützer, einem wie dem Prinzen im Märchen «Aschenputtel», der seine Angebetete heiratet und umsorgt. Das liege daran, dass Frauen als Mädchen immer noch anders sozialisiert würden als Buben und das Warten auf den rettenden Prinzen die volle Entfaltung der eigenen Fähigkeiten verhindere.

Tief verwurzeltes Rollenbild

Frauenrechtlerin Julia Onken bestätigt diese Tendenz. «Wir Frauen haben eine lange Geschichte hinter uns, in der wir nur nach einem Mann gesucht haben, der uns versorgt, beschützt und liebt.» Dieses Rollenbild sei tief verwurzelt. Die starke, unabhängige Frau sei immer noch ein Novum. «Es gilt leider immer noch die Devise: Je erfolgreicher eine Frau ist, umso einsamer ist sie auch. Eine starke Frau gilt immer noch als unsexy.» Viele Männer hätten Probleme damit, wenn die Frau erfolgreicher sei als sie selbst. «Wenn die Freundin mehr verdient und das schnellere Auto hat, kommt das bei vielen Männern nicht gut an.»

Doch auch die Frauen würden nicht unbedingt nach Unabhängigkeit streben: «Vor allem die Töchter von emanzipierten Frauen sehen, wie sehr man kämpfen muss, wenn man Karrierefrau und Mutter gleichzeitig ist.» Die jungen Frauen würden sich deshalb wieder vermehrt an klassischen Rollenbilder orientieren, weil diese eine verlockende Alternative seien. «Ich kann es den jungen Frauen nicht verübeln, wenn sie sich einfach einen Mann angeln, der sie finanziert und umsorgt. Das ist das unkompliziertere Leben.»

Zwar hätten die Frauen heute in ihrer Jugend oft das Ideal, Karriere und Mutterschaft unter einen Hut zu bringen, doch dieses würde von der Realität oft zerstört: «Wenn die jungen Frauen dann Mutter werden, wird ihnen klar, in welcher Abhängigkeit sie stehen.» Als Mutter um fünf Uhr abends noch schnell für ein Meeting nach London zu fliegen, anstatt das Kind aus der Krippe abzuholen, liege nicht drin. «Dafür braucht man einen Mann, der sich als genauso für die Kinder zuständig ansieht und in die Bresche springt. Diese Männer können Sie an einer Hand abzählen.»

«Bei Doppelbelastung nicht gleich aufgeben»

Dass sich junge Frauen einen Ernährer wünschen, findet Regula Zweifel von Alliance F verfehlt. «Man kann sich bei der Emanzipation nun mal nicht nur die schönen Seiten herauspicken und bei der kleinsten Doppelbelastung gleich aufgeben.» Dies sei nicht zukunftsgerichtet und schade auch den Frauen. Frauen machten sich dadurch von einem Mann finanziell abhängig, sodass im Falle einer Scheidung ein Armutsrisiko bestehe. «Wer dann keine Arbeitserfahrung hat, steht schlecht da.»

Die Männer sieht Zweifel ebenfalls in der Pflicht. «Ich glaube, die Männer wollen mehr Verantwortung in der Familie, es herrscht jedoch noch Gruppendruck, dies nicht zu tun.» Auch vonseiten des Arbeitgebers komme oft noch zu wenig Support für Teilzeitmodelle.

Um diesen Missstand zu beheben, muss laut den Frauenrechtlerinnen mehr in den Bereichen Gleichstellung und Kinderbetreuung gemacht werden. «In der Schweiz ist das, was im Bereich von Betreuungsangeboten wird, immer noch ein Tropfen auf den heissen Stein», sagt Onken. Man müsse es für Frauen einfacher machen, Karriere und Mutterschaft unter einen Hut zu bringen. Dieser Ansicht ist auch Zweifel: «Es wird argumentiert, Betreuungsangebote seien teuer und würden der Wirtschaft schaden, doch in Skandinavien funktioniert es bestens.»

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