Werden reiche Gemeinden zu asylfreien Zonen?

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Oberwil-LieliWerden reiche Gemeinden zu asylfreien Zonen?

Andreas Glarner (SVP) glaubt, dass sich weitere Gemeinden von Flüchtlingen freikaufen. Gegner befürchten soziale Probleme.

J. Büchi
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J. Büchi
Andreas Glarner (SVP), Gemeindepräsident von Oberwil-Lieli, sagt: «Es hat einen Winkelried gebraucht, der ein Zeichen setzt. Viele denken nun darüber nach, nachzuziehen.»

Andreas Glarner (SVP), Gemeindepräsident von Oberwil-Lieli, sagt: «Es hat einen Winkelried gebraucht, der ein Zeichen setzt. Viele denken nun darüber nach, nachzuziehen.»

Keystone/Alexandra wey

In Oberwil-Lieli leben keine Asylbewerber: Dieser Umstand ist den Einwohnern jährlich mindestens 290'000 Franken wert. Am Sonntag haben sie entschieden, ihrem Gemeindeammann Andreas Glarner (SVP) den Rücken zu stärken und sich von den zehn Asylbewerbern freizukaufen, die sie gemäss den Vorgaben des Kantons aufnehmen müssten. Der Entscheid provozierte heftige Reaktionen: Oberwil-Lieli sei unsolidarisch, ein «fremdenfeindliches Kuhkaff», kritisieren aufgebrachte Twitterer. Eine Nutzerin bezeichnet die Gemeinde gar als «Schandfleck der Nation».

Gleichzeitig nimmt Glarner auf allen Kanälen Gratulationen seiner Sympathisanten entgegen. Via Social Media fordert eine selbsternannte «Bürgeraktion», die Schweiz müsse «von Oberwil-Lieli lernen». Glarner selber hofft auf eine Signalwirkung, wie er auf Anfrage sagt: «Bei mir haben sich Bürger aus der ganzen Schweiz gemeldet, die sich wünschen, ihre Gemeinde würde denselben Weg einschlagen.» Selbst Amtskollegen aus anderen Gegenden der Schweiz hätten ihm zu seinem Mut gratuliert.«Es hat einen Winkelried gebraucht, der ein Zeichen setzt. Viele denken nun darüber nach, nachzuziehen.»

«Staatspolitisch bedenklich»

Für die Aargauer SP-Nationalrätin Yvonne Feri ein Schreckensszenario: «Es wäre erschütternd, wenn das Beispiel von Oberwil-Lieli Schule machen würde», findet sie. «Mit Geld lässt sich diese Aufgabe nicht aus der Welt schaffen, wir müssen die Verantwortung solidarisch tragen.» Wenn sich reiche Gemeinden freikauften – in Oberwil-Lieli kommen auf 2200 Einwohner rund 300 Millionäre – leide die soziale Durchmischung in der Schweiz.

Auch Kurt Fluri, FDP-Nationalrat und Stadtpräsident von Solothurn, warnt, die finanzschwachen Gemeinden dürften mit dieser Aufgabe nicht allein gelassen werden. «Sie könnten unmöglich allein den nötigen Wohn- und Schulraum bereitstellen.» Ausserdem drohe sich die Schere zwischen armen und reichen Gemeinden zu öffnen. Ein überdurchschnittlich hoher Anteil Asylsuchender in Schulklassen oder Quartieren wirke sich negativ auf die Integrationsbemühungen aus. «Das Verhalten der Gemeinde Oberwil-Lieli ist deshalb staatspolitisch bedenklich.»

Nicht alle Gemeinden dürfen sich freikaufen

Im Gegensatz zum Aargau dürfen sich die Gemeinden in anderen Kantonen – darunter Zürich, Bern und St. Gallen – nicht von Flüchtlingen freikaufen. In Luzern können die Gemeinden zwar Ersatzabgaben zahlen, wenn sie für zugewiesene Personen zu wenig Platz haben. Mit zehn bis 40 Franken pro Tag und Person fallen die Beiträge aber bescheiden aus.

Anders im Aargau: Weil sich in der Vergangenheit schon zahlreiche Gemeinden vor einer Aufnahme gedrückt haben, hat der Kanton die Schraube angezogen: Seit Anfang Jahr müssen Gemeinden pro nicht aufgenommener Person und Tag 110 Franken bezahlen. Die ersten Rechnungen werden ab Mitte Jahr verschickt. «Bisher hat uns noch keine Gemeinde signalisiert, dass sie dem Beispiel von Oberwil-Lieli folgen will», so Balz Bruder vom Sozialdepartement.

Für ein Modell, das noch weiter geht, wirbt der Münchner Ökonom Volker Meier. Für die Verteilung der Asylsuchenden in Deutschland schlägt er ein Bieterverfahren vor: Die Gemeinden sollten Gebote abgeben, zu welchem Preis sie einen Asylbewerber aufnehmen würden. Es gebe keinen Grund, warum das Asylwesen nicht nach einer Marktlogik funktionieren sollte, bekräftigt Andreas Glarner. «Es bauen auch nicht alle Gemeinden ein Opernhaus. Wer keines hat, setzt sich eben ins Auto und fährt hin.»

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