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Debatte über Wortwahl Koalition spricht von Völkermord an Armeniern - aber nur indirekt

Union und SPD im Bundestag wollen das Schicksal der Armenier als Völkermord benennen. Die Bundesregierung dagegen vermeidet den Begriff. Nun haben die Fraktionsspitzen eine höchst diplomatische Formulierung ausgearbeitet.
Bundestagssitzung: Am Freitag wollen die Parlamentarier über Armenien diskutieren

Bundestagssitzung: Am Freitag wollen die Parlamentarier über Armenien diskutieren

Foto: Michael Kappeler/ picture alliance / dpa

Union und SPD im Bundestag wollen im Zusammenhang mit den Massakern an den Armeniern vor 100 Jahren nun doch von einem "Völkermord" sprechen. Die Fraktionsspitzen legten ihren Abgeordneten dazu am Dienstag einen Formulierungsvorschlag vor, teilte Unionsfraktions-Vize Franz Josef Jung (CDU) am Montag in Berlin mit.

Allerdings ist die entsprechende Formulierung höchst diplomatisch gewählt. Auch die Abgeordneten von Union und SPD sprechen nicht direkt den Vorwurf des Völkermords in Richtung Türkei aus, dem Rechtsnachfolger des damaligen Osmanischen Reiches.

Am Sonntag hatte es nach Informationen von SPIEGEL ONLINE einen intensiven Austausch zwischen Bundeskanzleramt, Bundespräsidialamt und Auswärtigem Amt zum Umgang mit dem Armenien-Antrag der Koalition gegeben. Am späteren Nachmittag wurden schließlich auch die Fraktionschefs von Union und SPD, Volker Kauder und Thomas Oppermann, in die Beratungen einbezogen.

Heraus kam am Ende eine Kompromissformel, in der darauf hingewiesen wird, dass am 24. April 1915 im Auftrag des damaligen jungtürkischen Regimes die "planmäßige Vertreibung und Vernichtung von über einer Million Armenier begann". Der Begriff "Völkermord" wird nun indirekt erwähnt: "Ihr Schicksal steht beispielhaft für die Geschichte der Massenvernichtungen, der ethnischen Säuberungen, der Vertreibungen und der Völkermorde, von denen das 20. Jahrhundert auf so schreckliche Weise gezeichnet ist. Dabei wissen wir um die Einzigartigkeit des Holocaust, für den Deutschland Schuld und Verantwortung trägt."

Bislang hat die Bundesregierung die Verwendung der Bezeichnung Völkermord für das Massaker vermieden, um die Beziehungen zur Türkei nicht zu belasten. Außenminister Frank-Walter Steinmeier sagte der "Süddeutschen Zeitung" , er sei in Sorge, dass eine immer aufgeladenere politische Debatte den Beginn eines ernsthaften und aufrichtigen Dialogs zwischen Türken und Armeniern "erschweren oder gar unmöglich machen" könnte. Steinmeier hatte hinzugefügt, man könne, was damals geschehen sei, "in dem Begriff des Völkermords zusammenfassen wollen, und ich kann die Gründe dafür und erst recht die Gefühle dazu gut verstehen."

Offenbar hat auch die Haltung des Bundespräsidenten mit für die - wenn auch weiche - Aufnahme des Begriffs Völkermord im Koalitionsantrag gesorgt. Dies geht aus Äußerungen von Unions-Fraktionsvize Jung hervor - dieser hatte erklärt, er rechne damit, dass auch Bundespräsident Joachim Gauck am Donnerstag bei einer Rede in Berlin das Wort "Völkermord" für die Geschehnisse verwenden werde.

Der Druck war zuletzt vor allem in der Unionsfraktion gestiegen, den Begriff doch noch in irgendeiner Form zu verwenden. Der Vorsitzende des Ausschusses für Menschenrechte im Bundestag, Michael Brand, forderte gegenüber SPIEGEL ONLINE ebenfalls die Erwähnung des Begriffs Völkermord im Koalitionsantrag: "Das Parlament ist nicht der Sprecher der Regierung und natürlich kann das Parlament in solchen Fragen in guter Weise deutliche und richtige Signale senden."

In dem ursprünglichen Entwurf des Koalitionsantrags war der Begriff zunächst in der Überschrift erwähnt, dann nach einer Intervention der Bundesregierung in die Begründung verschoben worden. Jetzt taucht er - wenn auch in diplomatisch verklausulierter Form - wieder im Haupttext auf.

Massive Kritik des Zentralrats der Armenier an Steinmeier

Von armenischen Vertretern in der Bundesrepublik gab es an Steinmeiers Kurs massive Kritik. "Herr Steinmeier sollte endlich davon abkehren, weiterhin als Advokat Ankaras aufzutreten. Diese Haltung unterstützt lediglich die aggressive türkische Politik gegenüber den christlichen Gemeinschaften in der Türkei", sagte am Montag Nazareth Agheguian, Vorstandsvorsitzender des Zentralrats der Armenier in Deutschland.

Der Bundestag diskutiert am kommenden Freitag über die Massaker an den Armeniern. Grüne und Linke wollen sich zu dem Genozid in eigenen Anträgen bekennen. Sie warfen Regierung und den Koalitionsfraktionen falsche Rücksichtnahme auf die türkische Regierung vor. Die Regierung in Ankara wehrt sich vehement gegen die Einstufung des damaligen Geschehens als Völkermord und widerspricht auch den armenischen Angaben von 1,5 Millionen Opfern. Papst Franziskus hatte anlässlich des 100. Jahrestages des Massakers an den Armeniern vor einer Woche vom "ersten Genozid des 20. Jahrhunderts" gesprochen.


Zusammengefasst: Die Fraktionen von SPD und Union wollen im Bundestag im Zusammenhang mit dem Schicksal der Armenier den Begriff Völkermord verwenden. Allerdings ist von dem ursprünglichen Plan nach Rücksprache mit der Bundesregierung nur noch eine Kompromiss-Formulierung übrig geblieben. Der Vorwurf des Völkermords kommt jetzt lediglich indirekt vor.

ler/sev/dpa/AFP