Pegida ist böse. Denn auch wenn nicht jeder neue deutsche Montagsdemonstrant ein lupenreiner Rassist ist, machen diese Menschen unverzeihliche Fehler. Sie pauschalisieren, sie vorverurteilen und sie schließen sich einer Bewegung an, in der zahlreiche Rechtsradikale und Faschisten mitlaufen. Dass man in einem Landesteil, aus dem politisch Verfolgte 28 Jahre lang geflüchtet sind, nun die Stimmung gegen Flüchtlinge anheizt, ist an schäbigem Egoismus und historischer Kurzsichtigkeit außerdem nicht zu überbieten. Und noch etwas: Harte, aber sachliche Islamkritik wird seit Pegida von linken Diskutanten noch schneller mit Fremdenfeindlichkeit gleichgesetzt. Ein fulminanter Bärendienst für den notwendigen Diskurs.

Pegida ist gut. Denn wir lernen einmal mehr, dass man in unserem Rechtsstaat auch die Äußerung des Verabscheuungswürdigen aushalten kann und muss. Erst wenn es weh tut, beweist sich die oft zitierte Meinungsfreiheit wirklich. So wie die mutigen Charlie Hebdo-Zeichner tatsächlich alles durften und dürfen, weil schon die minimalste Selbstzensur das ganze Prinzip der Satire sofort zum Einsturz brächte. Vielleicht ist Pegida aber noch viel besser, als wir es gerade ahnen. Denn vielleicht kann diese Bewegung uns ein Beispiel sein – dafür, dass die Straße nach wie vor ein vielversprechender Ort ist, wenn man Veränderungen erreichen will. Und dass Volksvertreter ab einer bestimmten Größe von Menschenansammlung plötzlich aufwachen.

Heute blicken sämtliche Politiker entsetzt auf Dresden und andere -gida-Städte. In den letzten Jahren aber haben manche von ihnen den in Deutschland lebenden Muslimen beständig mehr religiöse Gleichberechtigung und Teilhabe zugesichert.

Es ist eine logische Folge, dass sowohl Islamverbände als auch einzelne Muslime die Zugeständnisse von höchster Stelle ernst nahmen, Ideen entwickelten und Ansprüche stellten. Vom eigenen Feiertag über Islamunterricht oder einen Gebetsraum in öffentlichen Schulen bis hin zu prominenten Moscheebauten.

Dieser Prozess liefert nun ein zentrales Motiv für die Angst der Pegida-Marschierenden: die fremde Kultur, die sukzessive und dabei rechtlich immer legitimierter Einzug hält, bis tief hinein in den offiziellen deutschen Alltag, und die heute einen Forderungskatalog formuliert, der vor 20 Jahren noch völlig undenkbar gewesen wäre. Was, so mag der Pegida-Alptraum lauten, wird dann wohl erst 2035 von den Religionsausländern gefordert werden? Die Bezahlung der Imame durch den Staat?

Man muss kein Prophet sein, um zu sehen, dass die Gleichberechtigungsansprüche deutscher Muslime mit der Zeit eher noch weiter wachsen als schrumpfen werden, und dass einmal verabschiedete Vereinbarungen kaum rückgängig zu machen sind. Wohlgemerkt: Es geht hier nicht um die durch das Grundgesetz garantierte Gleichstellung von Individuen, sondern um die der religiösen Kollektive. Nordrhein-Westfalen hat 2012 als erstes Bundesland das Schulfach Islamischer Religionsunterricht eingeführt, Niedersachsen folgte 2013. Bei Radio Bremen sitzt seit 2014 der deutschlandweit erste Vertreter muslimischer Verbände im Rundfunkrat.

Die logische Konsequenz für Muslime kann nur sein, hierzulande nach und nach auch in allen anderen gesellschaftlichen und staatsrechtlichen Bereichen eine vollkommene Gleichstellung mit dem Christentum zu erreichen. Gleichberechtigung ist immer Gleichberechtigung des Andersdenkenden. Ich möchte den Katholiken oder Protestanten sehen, der in einem fremden Kulturkreis lebt und die Offerte von Akzeptanz und rechtlicher Augenhöhe seines Glaubens ausschlägt.

Der Islam gehört zu Deutschland – eine "self-fulfilling prophecy"

Eine Folge dieser Entwicklung sind die vielen Wütenden, die den Pegida-Gründern durch Dresden und andere Städte hinterherlaufen. Sie fühlen sich hilflos angesichts einer sich kontinuierlich entwickelnden und fest in der Bevölkerungsmehrheit verankerten Gleichstellungs- und Toleranzkultur. Auch die politische Klasse will und kann diese Tendenzen nicht stoppen.

Christian Wulff hat unseren fortschrittlichen Paritätszeitgeist in Bezug auf die Muslime einst mit seinem kalkulierten Tabubrüchlein für die Geschichtsbücher auf den Punkt gebracht. Angela Merkel hat es gerade mit reichlicher Verspätung adaptiert. Das Postulat, der Islam gehöre zu Deutschland, ist dabei eine Art self-fulfilling prophecy von Dürrenmattscher Qualität: Was einmal laut gedacht wurde, kann nicht mehr zurückgenommen werden.

Nach den Anschlägen von Paris und immer noch mitten im Pegida-Diskurs sind die Vernunftappelle an das rechtskonservative Lager offenbar der einzig wirksame Löschschaum für drohende Weltbrände – Differenzierung von Islam und Islamismus, das Bekämpfen von Vorurteilen und Pauschalisierungen, die Beschwörung von Einheit und Gewaltlosigkeit, das ist natürlich alles richtig und zum Glück scheinen die Rufer bislang auch Gehör zu finden.

Doch wenn der Schock erst zur jüngsten Zeitgeschichte geworden ist, wenn die Pegidianer gemerkt haben, dass das mediale Interesse an ihnen nachlässt und sie dauerhaft eine Protestminderheit ohne politische Gestaltungsmacht bleiben werden, ist wieder alles genau wie vorher: Es leben auch weiterhin rund vier Millionen Muslime unter uns, die mit zunehmendem Selbstbewusstsein die konsequente rechtliche Gleichstellung ihrer Religionsgemeinschaft einfordern, und es gibt nach wie vor viele Bundesbürger, die neue Wut darüber anstauen, dass die Fremdgläubigen immer mehr wollen und es häppchenweise auch bekommen. Dieser Konflikt ist ein Wiedergänger, dem meine Generation wohl lebenslänglich begegnen wird.

Wie könnten nachhaltige Strategien aussehen? Forcierte politische Bildung, die besondere Vermeidung der Ausgrenzung junger männlicher Muslime, kluge Köpfe in den relevanten Staatsämtern, ein ebenso entschlossen handelnder wie entschlossen integrierender Rechtsstaat, jede Menge Geld und jede Menge Zeit.

Ein rigoroser Laizismus stellt alle Religionen gleich

Es gibt aber meiner Ansicht nach noch ein weiteres Mittel, um den Weihnachtslieder singenden Verteidigern des Abendlandes und den Kämpfern für islamische Feiertage, islamischen Religionsunterricht und geschlechtergetrennten Sportunterricht gleichermaßen den Wind aus den Segeln zu nehmen: die strikte Verbannung jedweder Religion ins Privatleben und die überfällige Etablierung eines rigorosen Laizismus, der alle Glaubensgemeinschaften in Deutschland gleichstellt. Und zwar indem er Katholiken, Protestanten und Muslimen gleichermaßen jede finanzielle Zuwendung von Seiten des Staates, jede Übernahme staatlicher Aufgaben sowie sämtliche rechtlichen Sonderstellungen verweigert. Und der jeden Anspruch von Bischöfen und Imamen, sich über reine Kirchenarbeit hinaus in das öffentliche Leben eines säkularen Landes einzumischen, entschieden zurückweist.

Natürlich, der Aufschrei unter den christlich-privilegierten Profiteuren des Status quo wäre gigantisch. Aber das ist immer der Fall, wenn eine satte Klientel um Pfründe fürchtet, die ihr vermeintlich dauerhaft zustehen. Ein Deutschland, in dem Krankenhäuser und Kindergärten nichts mit Konfessionen zu tun haben, in dem sich keine Glaubensvertreter in öffentlich-rechtliche Programmgestaltung einmischen und in dem gesetzliche Feiertage die historischen Meilensteine auf dem Weg zu Aufklärung und Demokratie markieren, ist tatsächlich machbar. Es ist eine reine Frage des Willens. Wer das Gegenteil behauptet, unterschätzt den Weltgeist maßlos.

Derart uneingeschränkt privatisiert wären alle Glaubensgemeinschaften gleichgestellt. Das könnte das Wetteifern von Christen und Muslimen um größtmögliche Präsenz im deutschen Alltag auf einen Schlag beenden und so dem Konflikt der religiösen Lager um Alleinstellung, Macht und Einfluss außerhalb ihrer Gotteshäuser wichtigen Nährboden entziehen.