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Sascha Lobo

S.P.O.N. - Die Mensch-Maschine Nichts sehen, nichts hören, viel sagen

Auf Facebook hat Pegida Zehntausende Anhänger. Sind die alle dumm? Sicher nicht. Aber genau das ist Teil des Problems.

Pegida ist eines der bisher wenigen Politphänomene in Deutschland, die Online wie Offline funktionieren. Zum Zeitpunkt des "9. Abendspaziergangs" in Dresden am 15. Dezember mit rund 15.000 Teilnehmern hatte die Facebook-Seite mehr als 50.000 Fans, sie wächst derzeit täglich um rund 10.000 Anhänger und hat erstaunlich hohe Interaktionsraten.

Mit den sozialen Medien ist eine neue Beobachtungsperspektive entstanden. Es lassen sich Gespräche, Kommentare, Meinungen nachvollziehen, die zuvor zwischen Kantinen, Stammtischen und Hausfluren undokumentiert verhallten. Obwohl inzwischen fast 30 Millionen Personen in Deutschland auf Facebook aktiv sind, ergibt sich natürlich nicht automatisch ein repräsentatives Bild. Aber es lassen sich wiederkehrende Denkmuster erkennen. Das ist hier auch notwendig, denn durch Politik und Medien zieht sich ein verzerrtes Bild von Pegida.

Der zuverlässig wirr redende SPD-Innenminister Ralf Jäger erklärte zum Beispiel, die Organisatoren seien "Neonazis in Nadelstreifen". Der Kopf von Pegida, der gelernte Koch Lutz Bachmann, ist vor einer Haftstrafe nach Südafrika geflohen, saß wegen Einbruch zwei Jahre im Gefängnis und verbüßt aktuell eine Bewährungsstrafe wegen eines Drogendelikts. Weniger Nadelstreifen geht gar nicht. Weil sich aber die Quatsch-Alliteration so geschmeidig anhört wie ein Bestsellerbuchtitel, hat die Wendung "Neonazis in Nadelstreifen" sogar international Karriere gemacht, der "Guardian" schrieb in nochmaliger, noch falscherer Verdichtung über "pinstriped nazis ".

"Abendland"-Quark mit einer rassistischen Grundierung

"Das Volk ist leider oft dumm", schrieb Franz Josef Wagner im Zentralorgan der Volksdummheit. Ein ähnlicher Tenor - alles Deppen - herrscht auch auf Twitter, dem Zentralorgan der Volkshäme. Es wäre bequem, wenn die Pegida-Demonstranten und -Fans alle dumm wären. Leider ist es nicht so einfach.

Denn neben den auf den ersten Blick dummen, enorm dummen und galaktisch dummen Pegida-Fans gibt es nicht wenige, die intellektuell aus der Mitte der Gesellschaft zu kommen scheinen. Die in ihren Kommentaren auf Facebook der Orthografie, der Grammatik und dem Ton nach nicht primär dumm sind. Und wer je die Kommentare unter einem "Bild"-Posting über Israel gelesen hat, muss leider anerkennen, dass die meisten Pegida-Kommentare (trotz einiger Ausfälle) beinahe gesittet daherkommen.

Vordergründig. Denn es handelt sich um gesittete Ressentiments. Viele Kommentare auf Facebook benutzen einen Sprachcode, bei dem "Islamisierung" nicht für Religion steht , sondern synonym für Araber und Türken und sogar Ausländer generell. Unter "Islamisierung" verstehen diese Leute den halbstarken Schwarzhaarigen, den sie auf hundert Meter Entfernung als "islamisch" identifizieren anhand seines Äußeren. Das offenbart eine rassistische Grundierung der Bewegung und ist die Erklärung für den "Abendland"-Quark , der im Namen bereits angerührt ist. Auch das ist ein Code, nämlich die gezielte Abgrenzung vom "Morgenland", also wiederum Türken und Arabern, unabhängig von einer eventuellen Religion.

Ein neuer Bürgertypus betritt die Bühne: der Latenznazi

Der Erfolg von Pegida liegt darin begründet, xenophobe Signale zu senden, ohne dass sich Sender oder Empfänger das eingestehen müssten. Die Erkennungscodes funktionieren sogar so eindeutig, dass man sich die ständige Scheindistanzierung leisten kann, "Wir sind keine Nazis", "Wir haben nichts gegen Ausländer", "Wir sind für das Asylrecht". Diese Sätze brauchen nicht einmal mehr das früher typische "aber" dahinter, man versteht sich auch so.

Der "taz"-Journalist Philip Meinhold twitterte : "Die Nazis haben den Ruf der Nazis so versaut, dass heute nicht mal mehr Nazis Nazis sein wollen." Das ist lustig, aber unvollständig. Vielmehr kommt mit Pegida ein neuer politischer Bürgertypus auf die Bühne - der unbewusst Rechtsextreme oder Latenznazi.

Also Leute, die rechtsextreme Positionen vertreten, ohne zu wissen oder wissen zu wollen, dass sie rechtsextrem sind. Und deren Vorahnung, ihre Haltung könnte problematisch sein, eben nicht dazu führt, die Haltung zu überdenken, sondern sich vorauseilend durch bloße Behauptung zu distanzieren. Ohne aus den eigenen Worten auch nur die geringsten Konsequenzen zu ziehen. Man erklärt, für das Asylrecht zu sein, aber verdammt zugleich "Asylanten". Genau diese Realitätsverdrängung ist ein Grund zu größter Besorgnis, dahinter steht ein Problem bestürzenden Ausmaßes.

Aus dem eigenen Gelaber keine Konsequenzen ziehen

Denn nicht die Dummheit ist das hervorstechende Merkmal der Pegida-Anhänger, sondern das hermetische Weltbild und die damit einhergehende Abkopplung von jeder Kausalität. Und verstörenderweise neigen auch Leute zu dieser Abkopplung, die nicht hauptberuflich dumm sind, zum Beispiel ist dieses Denkmodell auch in der ehemaligen Professorenpartei AfD bis in den Vorstand verbreitet . Und weit darüber hinaus. Solche Leute wollen sich von nervigen Fakten nicht ihre gefühlte Wahrheit verderben lassen. Deshalb ist es folgerichtig, dass die Proteste gegen Islamisierung in Dresden  stattfinden, wo es einen kaum mehr messbaren Anteil muslimischer Einwohner gibt.

Pegida ist ein Symptom  für die deutsche Gesellschaft, und der Blick in die Köpfe der Protagonisten im Internet hilft, das Symptom einzuordnen. Justizminister Heiko Maas hat hundertprozentig recht damit, dass Pegida eine "Schande für Deutschland" ist. Allerdings keine überraschende. Mit Pegida geht eine Saat auf, die seit vielen Jahrzehnten in Deutschland gesät wurde, auch in Westdeutschland. Denn gerade was Ausländerfeindlichkeit angeht, ist die Entkopplung der eigenen, lautstark erklärten Haltung von den daraus folgenden Taten Standard.

Das politische Gelaber, dass Deutschland ein "weltoffenes und gastfreundliches Land" sei, quoll aus Hunderten Mündern in Tausende Mikrofone, während auch durch die politischen Beschlüsse deutscher Regierungen an Europas abgeriegelten Grenzen Tausende zerschellten oder ertranken. Politische Stunts wie die "Ausländer-Maut" oder der alltägliche, absurde, menschenverachtende Umgang mit Flüchtlingen sind der ständige Beweis, dass der gleiche Mechanismus wie bei Pegida funktioniert, auch ohne dumm oder ungebildet oder Nazi zu sein: aus dem eigenen Gelaber keinerlei Konsequenzen zu ziehen. Wir haben uns in einer Gesellschaft der Realitäts- und Ressentimentverleugnung eingerichtet, und Pegida ist die unappetitliche Folge davon.

tl;dr

Pegida ist ein Symptom für die jahrzehntelange Verleugnung von Ressentiments quer durch die Gesellschaft.