Nackt vor Facebook – Seite 1

Ihr Facebooknutzer, seid auf der Hut – vor allem die Jüngeren unter euch! Das soziale Netzwerk hat angekündigt, seine Nutzer nicht mehr aus den Augen zu lassen, sobald sie im Netz unterwegs sind. Sie werden selbst dann ausgespäht, wenn sie sich von Facebook ausgeloggt haben.

Möglich macht es ein neuer Werbedienst namens Atlas. Der kann einen User, war er einmal auf einem stationären oder mobilen Gerät eingeloggt, im gesamten Netz erkennen und sein Verhalten protokollieren. Für den Nutzer geschieht das im Verborgenen, anders als bisher. Kein Button zeigt ihm, dass Facebook dahinter steckt, kein Hinweis verrät, dass er von den Werbebannern selbst beobachtet wird.

Facebook will damit Anzeigen noch treffsicherer platzieren. Das mag entgegenkommend klingen – wird die Werbung doch immerhin ganz an die Vorlieben des Einzelnen angepasst. Doch es ist ein unvertretbarer Eingriff in die Privatsphäre.

Welche Werbung bekommt jemand zu sehen? Bisher war dafür die Aktivität innerhalb des Netzwerks die Angabe persönlicher Interessen maßgeblich, unter anderem durch den Like-Button. Schon diese Selbstaussagen hat Facebook in den vergangenen Jahren immer weiter ausgebaut und spezifiziert. Waren anfangs ein paar Informationen zu Wohnort, Schule oder Hobbys gefragt, so kann man inzwischen in Dutzenden Menüs auswählen. Facebook suggeriert, andere fänden es spannend, ob man seinen Beziehungsstatus eher als "in einer offenen Beziehung" oder doch vorzugsweise als "es ist kompliziert" definiert. Dabei will allein Facebook das wissen. Man soll anführen, welche Orte man besucht und welche Serien man liebt. Doch hier liegt der feine Unterschied zur geplanten Neuerung: Man kann.

Atlas wird zum Spion für Facebook

Ab sofort will sich Facebook die Informationen über seine User nicht mehr allein über interne Angaben verschaffen. Jede Website, auf der ein Werbebanner steht, das über das neue Netzwerk namens Atlas ausgeliefert wurde, wird zum Spion für Facebook. Sogenannte Tracking Cookies beobachten, was man kauft, was man ansurft, worauf man klickt. Andere Werbebanner tun das leider auch, doch ist der Datensammler Facebook dabei, eine der größten Sammlungen dieser Art anzulegen. Und verlässt sich dabei nicht nur auf solche Cookies, gegen die sich jeder Nutzer leicht wehren kann. Nein, Atlas spioniert beispielsweise die Gerätenummer des Handys aus, mit dem gesurft wird. Und kann diese dann immer wieder finden und den Nutzer eindeutig identifizieren.

Das Netzwerk zeigt sich nachsichtig, indem es anbietet, diese allgegenwärtige Beobachtung jederzeit abschalten zu können. Doch die Neuerung würde wohl kaum eingeführt werden, wenn die Plattform sich nicht auf diejenigen verließe, die auf diesen Service verzichten – sei es aus Gleichgültigkeit oder Unwissenheit. Man kann daher nur jedem User anraten: Tu es! Schalte die Funktion ab, sobald sie eingeführt wird!

Je jünger die Nutzer, desto leichter

Hat Facebook erst einmal seinen Radius ausgeweitet, kann man sich dem Auge der Seite nicht mehr so einfach entziehen – es sei denn, man meidet das Internet komplett. Und allzu nachsichtig ist Facebook auch nicht. Die in vielen Browsern einstellbare Datenschutzfunktion "do not track" – späh mich bitte nicht aus – ignoriert Atlas.

Doch das ist es nicht allein. Der Eingriff wendet sich letztlich gegen die eigenen Mitglieder: Die im Folgenden auf Facebook erscheinende Werbung wird für einen jeden User in der Zukunft zur peinlichen Selbstvorführung. Er erkennt Elemente seines letzten Ausflugs ins Netz wieder und steht auf einmal nackt vor einer gesichtslosen Internetseite, die seine Wünsche antizipiert, bevor er sich derer überhaupt bewusst ist.

Obendrein handelt es sich bei einem Großteil der ausgeforschten Nutzer um Jugendliche: Über ein Drittel der deutschen Facebookmitglieder – 35,8 Prozent – sind zwischen 13 und 24 Jahre alt. Sie nutzen die Seite vor allem, um sich mit ihren Freuden zu amüsieren. Dass sie sich dabei einem Anbieter ausliefern, dessen Ziel es ist, sie zu manipulieren, daran denken sie dabei sicher nicht oft.

Doch je präziser die Kenntnis über jeden Nutzer, desto treffsicherer werden Anzeigen, desto gezielter werden die Nutzer verführt. Je jünger die Nutzer, desto leichter. In ihrem Alter läuft die Selbstfindung auf Hochtouren: Man formt seinen Charakter, fragt sich: "Wer bin ich und wer will ich sein?" Die Arbeit am eigenen Selbst ist Teil eines unerschöpflichen, fortdauernden Prozesses. Gibt es eine leichtere Beute für Werbung, wenn die auch noch meisterlich auf die individuellen Zweifel und Fragen, Hoffnungen und Träume zugeschnitten ist? Dass Facebook seine arglosen Mitglieder ausweiden will, und dabei gleichzeitig stets beteuert, wie fürsorglich und wohlwollend man sei, ist heuchlerisch und unsolidarisch.   

Ich benutze Facebook auch deshalb nur noch selten. Die Funktion, mich überall im Netz verfolgen zu können, werde ich sofort abschalten. Generell versuche ich, meine Privatsphäre so gut wie möglich aus dem Internet herauszuhalten – sie hat da nichts verloren.